Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

180 Gerhard Rill sönlich verklagt wurden —, ebenso die Warnung Omer Paschas, es werde sich in Bosnien noch ein Staat im Staate bilden °2), und die schon erwähn­ten verbitterten Worte Aali Paschas über die „Unterwühlung“ des Lan­des 62 63 64 6S). Als Träger gerichtlicher, in den Amtsradius der Lokalgerichte eingreifender Befugnisse und — hierin blieb die Praxis allerdings hinter den Ansprüchen und Erwartungen zurück — als Protektoren nicht nur der österreichischen Christen im Lande waren die Konsuln von Anfang an von der mohammedanischen Bevölkerung mit Mißtrauen oder, wie Metternich befürchtet hatte, mit Tätlichkeiten empfangen worden64). Wenn irgend möglich, ignorierte der türkische Beamte die Kapitulationen als eine von den europäischen Mächten oktroyierte, staats- und religions­feindliche Einrichtung. Der Mudir Dschemal Bey erklärte unverblümt, „daß er auf die bestehenden Traktate gar keine Rücksicht nehme, da selbe ihm nicht bekannt sind“ 6S)! Dazu kam, daß man sich auf türkischer Seite im Zeitalter des Tanzimat, der türkischen Reformgesetze, auf legislative Neuerungen nach europäi­schem Muster berufen und den Grundsatz, das „türkische“ Recht sei Europäern nicht zuzumuten, scheinbar widerlegen konnte. Hatte die tür­kische Regierung bereits im Hatti Sherif von Gülhane im Jahre 1839 versucht, sich der Loyalität aller Untertanen durch das Prinzip der Gleich­heit der Konfessionen vor dem Gesetz zu versichern, so wurde unter dem Druck der europäischen Mächte 1856 als Hatti Humayun ein Gesetzes­werk verkündet, in dem der Koran überhaupt nicht mehr Erwähnung fand. Die 1856 angekündigten Kodifikationen wurden 1858 (Strafrecht), 1861 (gemischte Tribunale) und 1863 (Handelsrecht) durchgeführt, 1864 folgte die Provinzialverfassung mit dem Vilayet-Gesetz. Theoretisch be­stand nun Gleichberechtigung von Muslim und anderen Konfessionen vor allen türkischen Gerichtshöfen. Die nach dem Wiederaufleben panisla- misch-antieuropäischer Tradition und dem herzegowinischen Aufstand von 1875 erlassene Konstitution, die vor allem eine Gegenmaßnahme gegen ein oktroyiertes europäisches Programm darstellte, beendete die Epoche des Tanzimat 66). 62) Prokesch an Generalkonsulat, 1861 Oktober 16: ABH GKsS Alig. Akten ZI. 1130/1861. 63) Siehe oben S. 176. 64) Bericht der Internuntiatur, 1852 April 19: Admin. Reg. F 8/32 (Livno); Korrespondenz betr. Insultierung Athanaskovic’s vom März 1853: ebenda F 4/ 13 (Personalakt Athanaskovié fol. 52—-77). Über tätliche Angriffe auf Konsuln anderer Nationen berichtet H e 1 f e r t Bosnisches 130 f. Stellungnahme Metter­nichs wie oben S. 160. 65) Dembicki an Jovanovic, 1861 Juli 30: ABH GKsS Alig. Akten ZI. 840/ 1861. 66) vgl. Roderic H. Davison Reform in the Ottoman Empire 1856—1876 (Princeton N. J. 1963); Niyazi Berkes The Development of Secularism in Tur­key (Montreal 1964) bes. 137—173; Enrico de Leone L’impero ottomano nel primo periodo delle riforme (Tanzimat) secondo fonti italiane (Universitä di Cagliari, Puhblicazoni della Facoltä di Giurisprudenza 3, Milano 1967).

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