Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 179 die der finanziellen Forderungen, hier kaum in Betracht gezogen, anderer­seits ist die aus anderen Quellen erschreckend deutliche Verbindung von Gleichgültigkeit und Grausamkeit nur in relativ harmlosen Fällen er­kennbar. Es ist dabei zu bedenken, daß es den Beschwerde führenden Behörden nicht auf die Vollständigkeit der Streitfälle, sondern auf jene Differenzen ankam, aus denen eine klare Überschreitung der konsulari­schen Befugnisse bzw. „traktatenwidriges“ Verhalten zu erkennen war. Eine kaum abzuschätzende Zahl von Kriminalfällen mag außerdem nach den Regeln einer illegalen Volksgerichtsbarkeit, die von der privaten Er­mittlung bei Diebstählen bis zum Haiduckenwesen reichte, erledigt wor­den sein. Im zivilrechtlichen Bereich der Schuldenreklamationen vermit­teln statistische Angaben zunächst ein eher positives Bild59). Zu einer Verhandlung österreichischer Ansprüche gegen türkische Schuldner kom­me es nur selten, berichtete Wassitsch 1860, da in diesem Punkte Statt­halterei und Generalkonsulat Zusammenarbeiten und „ein Befehl der Pro­vinzialregierung ohne besondere und einleuchtende Gründe nicht leicht für die Dauer imvollzogen bleibt“ 60). Dies dürfte sich allerdings nur auf größere Ortschaften, vor allem auf Sarajevo selbst, bezogen haben. Auf dem flachen Land hingegen wurde eine Schuldforderung oft aussichtslos, sobald der (türkische) Schuldner sie nicht anerkannte oder sich als zah­lungsunfähig erwies. Gehörte der Schuldner gar der reichen, vorwiegend mohammedanischen Grundbesitzerschicht an, war die Lage für den Gläu­biger nahezu hoffnungslos. So wurden etwa die Gläubiger des Rustem Bey Cengic in Sarajevo von der Behörde mit Drohungen von ihren Forde­rungen abgeschreckt, wurden dadurch selbst zahlungsunfähig und schädig­ten die mit ihnen in Geschäftsverbindung stehenden österreichischen Han­delshäuser 61). In welchem Ausmaß die Frage der Schuldforderungen die wirtschaftliche Lage in Bosnien auch beeinflußt haben mag, im Konflikt der Konsuln mit den türkischen Behörden spielte sie nur eine sekundäre Rolle. Die grund­sätzlichen Differenzen ergaben sich, wie zu erkennen war, aus Fragen der Staatsbürgerschaft, der christlichen Zeugenschaft und dem Verfahren ge­gen österreichische Untertanen vor türkischen Gerichten. Auf diese Punkte bezogen sich die türkischen Beschwerden in erster Linie — auch wenn zu­nächst nur die österreichischen Beamten Jovanovié und Dembicki per­*•) Übersicht über Partexangelegenheiten in der Konsularagentie Bihac 1859 (12 Reklamationen, meist durch Zahlung erledigt): Admin. Reg. F 8/32 (Bihac). 90) Bericht Wassitsch, 1860 März 23: ebenda. ox) Bericht Jovanovic, 1862 Juli 30: Admin. Reg. F 8/35 (Bosnien-Herze­gowina, Sarajevo). Die jugoslawische Forschung hat darauf hingewiesen, daß das Schema: ausgebeutete Rajah — ausbeutende Mohammedaner für die Jahr­zehnte vor der Okkupation nur bedingte Gültigkeit hat, da im 19. Jahrhundert christlich-bürgerliche Elemente in die in Auflösung befindliche Feudalklasse eindrangen; vgl. das Sammelreferat von Wayne S. Vucinich The Yugoslav lands in the Ottoman period in The Journal of Modern History 27 (1955) 291 ff. 12*

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