Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

178 Gerhard Rill suchung nach österreichischem Gesetz führen. Die türkischen Ermittlungen seien daher wertlos, und man würde den Lokalgerichten nur einen Dienst er­weisen, wenn man ihnen die „Zwecklosigkeit ihrer Amtshandlungen in Straf­sachen gegen österreichische Unterthanen“ begreiflich machte; vielleicht wür­den sie dann den österreichischen Konsuln „die freie Untersuchung concediren“. Der österreichische Konsulatsbeamte am türkischen Gericht sollte die „Funk­tion eines Richters“ ausüben, nicht nur „stillschweigender Zeuge“ sein, er sollte ein „eigenes Protokoll ... für sich selbst führen, sonst wäre seine Anwesenheit überflüssig“. Prokesch beantwortete diese und andere Anregungen, Fragen und Beweis­führungen Reglias zuerst mit Belehrungen, schließlich mit einer scharfen Rüge. Für ihn ging es nicht um Rechtsprinzipien, sondern um eine er­trägliche Praxis des Zusammenlebens. Er war davon überzeugt, daß die Pforte die bisherigen Gewohnheiten nicht antasten würde, solange man diese ausübe, ohne das Ansehen der türkischen Regierung zu schmälern. Auf keinen Fall dürfe geschehen, daß ein von türkischen Gerichten zu Gefängnisstrafe Verurteilter vor Ablauf seiner Strafzeit „gewissermaßen zum Hohne der Lokalbehörde“ in Sarajevo herumlungere. Wenn aber in der Praxis ohnedies Übereinstimmung bestehe, möge man diese nicht durch Prinzipienreiterei stören, denn nicht Grundsätze seien hier wichtig, sondern in erster Linie Takt57). Die Prophezeiung Prokeschs, eine neue Regelung grundsätzlicher Art wer­de die Sonderstellung Österreichs nicht mehr enthalten, verwirklichte sich noch vor der Okkupation. Mit einem Zirkulare vom 3. April 1878 wurden alle Konsularämter in der Levante verständigt, daß Österreich den türki­schen Wünschen nach Abschaffung der bisherigen Auslieferungspraxis von türkischen Gerichten an das Konsulargericht entsprochen habe. Die Neu­organisierung der türkischen Gerichtshöfe und der verbesserte Zustand der Staatsgefängnisse habe eine neue Situation geschaffen, „wonach mit der Ursache die Wirkung zu entfallen“ hätte 58). Auf die bosnischen Ver­hältnisse hatte diese Neuregelung begreiflicherweise keine Auswirkungen mehr. V Überblickt man die bunte Palette der zivil- und strafgerichtlichen Streit­fälle aus dem Bereich Livno und, soweit oben berücksichtigt, dem übrigen Bosnien, dann scheint einerseits die sonst zahlenmäßig stärkste Gruppe, 57) Korrespondenz betr. Mandola 1865—1866: Admin. Reg. F 30/25 (Straf­justizpflege Türkei 4). Mandola sollte sich in Triest verantworten, wo er im Juli 1866 noch nicht eingelangt war, so daß vermutet wurde, daß er „un­geachtet der ihm zugestellten Weisung ... wie auch der in dessen Wander­buch zugeschriebenen Marschroute ... noch immer in Bosnien oder Dalmatien herumvagirt“. 58) HHStA Botschaftsarchiv Konstantinopel admin. 51 (Türkische Strafge­richtsbarkeit).

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