Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien
österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 177 Fällung des Urteils berechtigt, da die Missetat nach österreichischem Gesetz nur eine Übertretung darstelle; die Verhörsprotokolle seien trotz wiederholter Forderungen nicht übergeben worden, etc. Das österreichische Außenministerium nahm zu den türkischen Argumenten in folgender Weise Stellung: ad 1) Es ist zwar leider eine Tatsache, „daß manche Stipulationen in unseren alten Verträgen mit der Pforte nicht bestimmt genug lauten“, aber aus dem ominösen Artikel 5 ist doch soviel mit Sicherheit zu erkennen, daß „dem türkischen Gerichte ein Strafrecht über österreichische Unterthanen nicht eingeräumt sey. Die Procedur, an welcher wir festhalten, wechselt allerdings in den Traktaten“. ad 2) Das Gleichheitsprinzip verpflichtet Österreich nicht, ein „wohlerworbenes Recht“ aufzugeben. „Nach den Traktaten haben wir uns nicht in die Position einer etwa minder begünstigten Nation zu bequemen, sondern wir dürfen vielmehr umgekehrt in Allem die Gleichstellung mit der meistbegünstigten Nation beanspruchen“. ad 3) Die Reziprozität in Gerichtssachen ist niemals zugestanden worden. Der Standpunkt der Internuntiatur (Prokesch) ist der des Ministeriums in vielem konträr. Die aus den Verträgen abgeleiteten Prinzipien besitzen demnach zweifelhaften Wert. Wenn Jovanovic „dem türkischen Tribunale das Recht abspricht, welches unsere Tribunale gegenüber türkischen Unterthanen jedesmal ansprechen und ausüben, nämlich daß der österreichische Unterthan, der auf türkischem Boden ein Vergehen oder Verbrechen begeht, dem türkischen Tribunale unterstehe ..dann muß Prokesch auf zunehmende Schwierigkeiten verweisen, „mit welchen überhaupt die Aufrechterhaltung des exterritorialen Gerichtsstandes für die Österreicher, namentlich in der von uns allein behaupteten Ausdehnung, verbunden ist;“ daher ist sehr zu empfehlen, „mit Vorsicht der Anregung eines Prinzipienstreites auszuweichen, dessen Erfolg ... unseren Ansprüchen vielleicht nicht genügen dürfte ..55). Noch deutlicher wird die Gegensätzlichkeit der Meinungen innerhalb der österreichischen Behörden bei einem ähnlichen Fall (Sarajevo 1865—1866), in dem es um eine durch den österreichischen Untertan Johann Mandola an einem türkischen Beamten begangene Körperverletzung ging. Prokesch, der europäische Anwalt mohammedanischer Tradition, trat dabei scharf den Ansichten des Generalkonsulatsverwesers Paul von Reglia entgegen. Reglia war kein Neuling im konsularischen Dienst wie Jovanovic, den er abgelöst hatte; er hatte juristische Ausbildung genossen, brachte jedoch im Laufe seiner Amtszeit sich und seine Vorgesetzten durch sein „nervöses Temperament“ mehrmals in Verlegenheit55 56). In der Sache Mandola stieß sein konsequentes, jedoch unrealistisches Festhalten an Rechtsprinzipien auf die für einen Diplomaten an der Pforte gerade noch vertretbare Toleranz Prokeschs: Reglia hatte den Fall Mandola vor das Konsulargericht gebracht, da er den türkischen Gerichtsspruch für nicht verbindlich hielt. Wenn nun das Generalkonsulat das Bestrafungsrecht hatte, mußte es nach Reglia auch die Unter55) Korrespondenz betr. Buljan 1864: Admin. Reg. F 30/25 (Strafjustizpflege Türkei 4). 56) Der Personalakt in Admin. Reg. F 4/281—282 bestätigt das Urteil Koet- s c h e t s Osman Pascha 41. Mitteilungen, Band 30 12