Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

176 Gerhard Rill Paschas nicht wundern, „daß er ... sich nicht länger der Einsicht ver­schließen könne, Österreich lege es auf Unterwühlung Bosniens an, um es gelegentlich in eine österreichische Provinz zu umwandeln“ (!)63). Abgesehen von der Besteuerung zeigte sich der Wert der österreichischen Staatsbürgerschaft vor allem im Bereich der Kriminalgerichtsbarkeit, bei der Verurteilung österreichischer Untertanen durch türkische Gerichte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte man es noch als selbstverständlich betrachtet, daß bei Polizeiüberschreitungen und Kriminalverbrechen österreichischer Untertanen in der Türkei ledig­lich die diplomatischen (und konsularischen) Vertreter der Monarchie zuständig waren und nach eigenem Ermessen Strafen (Gefängnis oder körperliche Züchtigung) verhängen konnten; nur bei Kapitalverbrechen sollten sich die Missionen auf die Feststellung des Tatbestandes beschrän­ken, dann jedoch den Delinquenten zur Aburteilung an ein Kriminalge­richt innerhalb des Kaiserstaates überstellen54). Wie wenig jedoch der Wortlaut des oft zitierten Artikels 5 des Passarowitzer Handelsvertrages in der Praxis ausreichte und zu welch absurden — dabei nicht unlogischen — Auslegungen man gelangen konnte, zeigt ein Fall, der kurz nach den Livnoer Streitigkeiten in Sarajevo verhandelt wurde: Der österreichische Untertan Anton Buljan, der einen türkischen Staatsbürger durch einen Messerstich verletzt hatte, war im September 1864 von einem türkischen Gericht zu drei Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt worden; fast zur gleichen Zeit verhängte das Generalkonsulat über denselben Angeklagten wegen desselben Deliktes eine Strafe von einem Monat Gefängnis und erklärte das türkische Urteil für ungültig. In der Folge gab es zu diesem Vorkommnis nicht nur zwei, sondern vier verschiedene Standpunkte: Die türkische Seite unterstrich die Kompetenz ihres Gerichtes und die Gültigkeit des Urteils damit, daß 1. die Verhandlungen den Kapitulationen entsprechend unter Beteiligung kon­sularischer Vertreter — „qui n’assistent qu’ä l’instruction pour assurer la plus entiére liberté á l’accusé pour produire toutes les preuves en faveur de son innocence“ — abgewickelt worden waren; darüber hinaus aber steht den Konsuln kein Recht zu, da nach dem Inhalt der Kapitulationen die Jurisdiktion der Lokalbehörde über Vergehen und Verbrechen, begangen auf türkischem Boden an türkischen Staatsbürgern, unangetastet bleibt; 2. die Türkei alle ausländischen Staatsbürger gleich behandeln muß und nicht einem Staat größere Rechte einräumen darf; 3. im Sinne der Kapitulationen die Reziprozität für die Türkei beansprucht werden kann, — welche in diesem Falle keineswegs gegeben ist; 4. es nicht Sinn der Kapitulationen sein kann, ausländischen Kriminellen „une espéce d’immunité“ zu sichern. Die Kritik des Generalkonsulates bezog sich vor allem auf Verfahrens­fragen: Das türkische Urteil wurde dem Generalkonsulat erst mitgeteilt, als dieses bereits ein eigenes Urteil gefällt hatte; das Generalkonsulat war zur * 64 53) Korrespondenzen und Notenwechsel als Beilage zu Bericht Prokesch, 1864 März 23: Admin. Reg. F 4/153 (Personalakt Jovanovic). 64) Staatskanzlei an Oberste Justizstelle, 1812 September 1 (Kopie als Bei­lage zu Bericht Stürmer, 1834 Dezember 9): Admin. Reg. F 30/15.

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