Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)

RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien

Österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 175 Nur bei längerem Aufenthalt in Österreich und bei Erwerbung einer ordent­lichen Gemeindezuständigkeit, „wozu in der Regel der Ausweis gefordert wird, daß sie [die dalmatinischen Ansiedler] nach ihren Familienbeziehungen sowie ihren Geschäfts- und Vermögensverhältnissen außer aller näheren Beziehung mit der Türkei stehen“, kann österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wer­den. In allen Fragen muß mit Vorsicht und Takt vorgegangen werden 51 52 * *). Ein spezielles Kapitel bildete die „Untertanenschaft de facto“, die Auf­nahme türkischer Untertanen in den Verband österreichischer Staatsbür­ger und Schutzgenossen. Seit den Fünfzigerjahren wurde damit sehr spar­sam umgegangen, mit einer Ministerialverordnung vom 2. Dezember 1857 hatte die Regierung versucht, die Untertanenschaft de facto nach Mög­lichkeit zu reduzieren. Österreichs Bestrebungen verliefen darin parallel zu denen anderer Staaten, wie etwa ein rigoroses niederländisches Régle­ment aus dem Jahre 1865 beweist. Von der österreichischen Internuntiatur wurden diese Maßnahmen sehr positiv interpretiert und resignierend mit den Folgen der österreichischen Ministerialverordnung verglichen: Diese sei nämlich von den Konsuln nur sehr unvollständig durchgeführt wor­den, der Großteil der in der Türkei lebenden österreichischen und ungari­schen Staatsbürger müsse seiner Abstammung nach dem Untertanenverband der Pforte zugerechnet werden. Ja, es sei nicht ungewöhnlich, daß einunddiesel- be Person einen österreichischen Paß besitze und zugleich in der Untertanen­liste der Lokalbehörde geführt werde 52). Wie leicht es dazu kommen konnte, zeigt ein Fall, der sich 1862 in Sara­jevo zutrug und zu prinzipiellen Auseinandersetzungen führte: Ein gewisser Ivan Bartulovic, ca. 50 Jahre alt, ersuchte das Generalkonsulat um einen Paß und gab an, in Studenze (Prätur Imoschi) geboren und vor ca. 20 Jahren nach Bosnien eingewandert zu sein. Kurze Zeit, nachdem seinem Wunsch entsprochen worden war, sollte sein Sohn zum österreichischen Mili­tär einrücken, entzog sich jedoch der Stellungspflicht. Nachforschungen er­gaben nun, daß Bartulovic auf türkischem Boden, nicht aber in Studenze — von wo vor ca. 80 Jahren sein bereits verstorbener Vater eingewandert war — geboren worden war. Trotz Kenntnis dieses Sachverhaltes richtete Jovanovic am 3. Februar 1864 eine Note an Osman Pascha, in der er die Nichtanerken­nung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Bartulovic als eine „Be­drohung der Jurisdiktion und Amtswirksamkeit“ des Generalkonsulates bezeich- nete. Jovanovic hätte vielleicht für sich beanspruchen können, daß nach der herrschenden Praxis die erste Generation nach aus Dalmatien eingewan­derten Eltern noch die österreichische Staatsbürgerschaft behielt; er be­rief sich jedoch nicht darauf, sondern auf die vom Generalkonsulat ge­fällte Entscheidung, obwohl diese ohne Beweismittel und ohne Rückfrage bei der zuständigen Prätur zustande gekommen war. Angesichts dieser Praxis — so meinte Prokesch — dürfe man sich über die Erklärung Aali si) Weisung an Jovanovic, 1862 September 4: PA XXXVIII 151. 52) Undatierte Denkschrift, beiliegend Reglement der niederländischen Ge­sandtschaft, 1865 Februar 10: HHStA Botschaftsarchiv Konstantinopel admin. 52 (Unterthanen de facto).

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