Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 30. (1977)
RILL, Gerhard: Zur Geschichte der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien
österr. Konsulargerichtsbarkeit in Bosnien 173 Von den österreichischen Konsularbeamten in Bosnien befaßte sich am eingehendsten Konrad Wassitsch, 1860 Verweser des Generalkonsulates Sarajevo, mit dem Problem der dalmatinischen Einwanderung: Das Gesamtphänomen ist günstig zu bewerten, die Einwanderer werden „wegen ihres Fleißes und ihrer Redlichkeit“ von den hiesigen (mohammedanischen) Grundbesitzern gerne als Pächter aufgenommen. „Diese Leute sind es, die mit den aus dem Mutterlande eingeführten Ansichten von Recht und Gerechtigkeit, von Thätigkeit und Genügsamkeit auch die Wiedergeburt der moralisch tief gesunkenen Rajahs vorbereiten ..Die korrupten Beamten allerdings, die für ihre Existenz fürchten, bereiten der Einwanderung Schwierigkeiten. Diesen Beamten aber muß man entgegentreten, — vor allem im Interesse der Türkei! Denn gerade diese müßte sich um den Nachweis bemühen, „daß die Flucht bosnischer Christen auf österreichisches Gebiet nicht in der absoluten Unerträglichkeit der hiesigen Zustände, sondern in der Verkümmerung des eingeborenen Bauernstandes zu suchen ist, welcher eben durch das Beispiel der eingewanderten Dalmatiner zum Besten der Türkei nur gehoben werden kann“. Der Schutz aber, den die k. k. Regierung der dalmatinischen Einwanderung gewährt, ist in Wirklichkeit eine Voraussetzung für die „Civilisirung Bosniens“. Der zunehmende Druck schließlich, der von Seite der Behörden auf alle bosnischen Bauern ausgeübt wird, veranlaßt die nach Dalmatien zuständigen Siedler, sich Pässe zur Sicherung ihrer Staatsbürgerschaft zu verschaffen und damit jenen Schutz in Anspruch zu nehmen, den ihnen nur die Konsularämter gegenüber der Willkür einer korrupten türkischen Beamtenschaft bieten können. Von den Landesbehörden, die „unberechtigter Hochmut und eigennützige Absichten“ beherrschen, ist nichts zu erwarten. Osman Pascha selbst hat seine Absicht erklärt, den Grundbesitzern in Zukunft die Aufnahme österreichischer Pächter zu verbieten. Die einzige Hoffnung beruht auf der aufgeklärten Haltung der türkischen Regierung, die wohl den Vorteil der dalmatinischen Einwanderung für das wirtschaftliche Wohl Bosniens erkennen werde 46). Im Hinblick auf das türkische Steuersystem kann es nicht überraschen, daß die zuständigen Beamten alle legalen und illegalen Mittel anwandten, um eine möglichst hohe Steuersumme einzutreiben und daß sie der „Wiedergeburt der moralisch tief gesunkenen Rajahs“ mit mäßigem Interesse gegenüberstanden, — besonders, wenn diese Wiedergeburt nur durch Einschleusung von Hunderten steuerverweigernder Individuen zu erreichen war. Unübersehbar sind die Meldungen über die Terrorisierung österreichischer Untertanen, die sich nur zur Zahlung der Bodensteuer bereit fanden. Allein im Juni 1861 wurden zwölf Personen in Grahovo arretiert und gefesselt nach Travnik verschleppt; im selben Monat wurde ein Steuerverweigerer von einem türkischen Panduren zu Tode mißhandelt47). Ne- * 4 sulat, 1861 Oktober 31: ABH GKsS Allgemeine Akten ZI. 1184/1861. In seiner Stellungnahme zu dem Pamphlet gegen Dembicki (siehe Anm. 31) erklärt Theo- dorovic, die Bevölkerungsziffem im Bezirk Livno seien fluktuierend und nicht gesichert, denn viele Bewohner beanspruchten die Staatsbürgerschaft „nach ihrem jeweiligen Vortheile“! 4«) Berichte Wassitsch 1860 März 23 (wie Anm. 44) und April 5: PA XXXVIII 138. 47) Dembicki an Jovanovic, 1861 Juni 9: ABH GKsS Allgemeine Akten ZI. 681/1861.