Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 29. (1976)
LAUBACH, Ernst: Karl V., Ferdinand I. und die Nachfolge im Reich
Karl V., Ferdinand I. und die Nachfolge im Reich 9 Zu der ersten Kategorie von Gründen gehört die auch schon früher vorgetragene Klage, seine Statthalterschaft beim Reichsregiment sei schlechterdings wertlos, weil ihm die zur Wahrung von Ordnung und Sicherheit notwendigen Vollmachten fehlten; der leere Name führe aber eher zu Verachtung und Geringschätzung („dedecus ac vilipendium“) der kaiserlichen Majestät; als österreichischer Fürst könne er nachhaltiger intervenieren denn als Statthalter36). Ferner die Warnung, die ungeordneten Verhältnisse im Reich könnten auf Kosten von Ehre und Würde des Kaisers („honor et dignitas“) bedenkliche Entwicklungen hervorbringen: Die Reichsvikare könnten den Anspruch anmelden, wegen der Abwesenheit des Kaisers ihr Amt auszuüben — zumindest der Kurfürst von der Pfalz hege diese Absicht37 *). Oder sie könnten unter sich eine besondere Regierung errichten, was mit großer Wahrscheinlichkeit zu vielen Unzuträglichkeiten oder sogar zu inneren Unruhen führen werde; ja, man könne nicht ausschließen, daß das aufgewühlte deutsche Volk sich selbst einen König erwähle oder die Kurfürsten auffordere, einen neuen König zu wählen — vor allem bei den Anhängern des Luthertums finde sich diese gefährlichste Auffassung. Es gebe im Volke Stimmen, die sich gegen die Königswahl durch wenige und obendrein Käufliche richteten, wobei von Lutheranern besonders das Stimmrecht der geistlichen Kurfürsten angefochten werde; wer könne wissen, ob nicht irgendeiner sich im Vertrauen auf das Volk und mit französischer Unterstützung zum Gegenkönig aufwerfe? Dem Kaiser möge das freilich infolge seiner langen Abwesenheit unglaublich erscheinen 3S). Als langfristige politische Vorteile führt Ferdinand an: Während die deutsche Nation gegenwärtig durch die Hinneigung mancher zu Frankreich gespalten und in der Frage nach dem rechten Glauben in tausend Teile zersplittert sei, würde sie durch seine Erhebung zum Römischen König zu festem Gehorsam gegen den Kaiser und zur Einigkeit zurückgeführt werden, was für die gesamte Christenheit von Bedeutung wäre; darin steckt auch eine Anspielung auf die von Karl sehr ernst genommene Pflicht des Kaisers, für die Einheit der Christenheit Sorge zu tragen. Ferner könne er als Römischer König den Bruder nicht nur viel wirksamer gegen Frankreich unterstützen, sondern Karl könne sich dann überhaupt bei der Verfolgung seiner wichtigen Ziele auf die Treue der Deutschen verlassen, besonders auch bei der Vorbereitung eines Feldzuges gegen die Türken — also wiederum bei der Wahrnehmung einer kaiserlichen Aufgabe erster Ordnung39)! Daß er zwischen seiner eigenen Erhebung und einer 38) Ebenda 152 f. 37) Ebenda 158. Eine Bestätigung dieser Behauptung im Konzept eines Schreibens des Hochmeisters Albrecht von Preußen an Ferdinand, zitiert von Karl Wolff Das Heidelberger Fürstenschießen von 1524 in Historische Vierteljahrsschrift 31 (1938) 676. 38) Korr. 1 158, 167, 169. Ferdinand erwähnt die Gefahr der Wahl eines Gegenkönigs also dreimal! 3») Ebenda 169 f, 178.