Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

MECHTLER, Paul: Die Anfänge der Phototechnik im österreichischen Archivwesen

28 Paul Mechtler Massenaufnahmen von neuzeitlichen Akten in deutschen Archiven, vorwie­gend in Form von Photokopien, teils bereits in Kleinbildformat, bildeten in den Dreißigerjahren die Grundlage für drei Unternehmen (Geschichte des Sozialismus in Deutschland vom Marx-Engels-Institut in Moskau, Ge­schichte des Dreißigjährigen Krieges vom Schwedischen Generalstab und die deutsche Auswanderung in die USA von der Kongreßbibliothek in Washing­ton). Die meisten Forscher in den Archiven begnügten sich damals noch mit Aktenexzerpten, was zweifellos die Archivbeamten aller Kategorien weniger in Anspruch nahm. Bereits früher war der Mikrofilm (diese Bezeichnung für Kleinbildaufnahmen setzte sich erst allmählich durch) bei Banken ange­wandt worden, die mit der Verfilmung von Schecks unberechtigte Ansprüche abwehren wollten30). Der Brand des Wiener Justizpalastes war der indirekte Anlaß zur Anschaf­fung der ersten Kleinbildkamera in einem österreichischen Archiv. Bei ei­nem Teil der beschädigten Brandakten des Staatsarchivs des Inneren und der Justiz versagten alle üblichen Konservierungsmethoden, und so bestand die Gefahr der völligen Vernichtung bei einer eventuellen Benützung. Probeauf­nahmen mit der Leica hatten recht gute Ergebnisse erbracht, selbst schwer lesbare Stellen konnten nach entsprechender Vergrößerung leichter entziffert werden. Der am 21. September 1935 von Dr. Melitta Winkler (der ersten Staatsarchivarin in Österreich!) gestellte Antrag auf Anschaffung eines Leica-Standardmodells, eines zusammenlegbaren Reproduktionsappa­rates und eines Vergrößerungsapparates „Valoy“ mit einem Gesamtaufwand von S 850,- fand drei Tage später die Zustimmung des Bundeskanzleram­tes31). Für Photomaterial war eine monatliche Summe von S 20,- vorgesehen; ein Teil dieses Sachaufwandes sollte durch die Ausführung von Aufträgen für die Archivbenützer hereingebracht werden. Dem Hofkammerarchiv wurde von der Wiener Firma Diaphot im Jahre 1937 ein ohne Dunkelkam­mer arbeitendes Photokopiergerät angeboten; dieses Offert blieb jedoch aus unbekannten Gründen unerledigt32). Im Jahre 1938 waren in Deutschland verschiedene Ämter und Institutionen mit Photogeräten aller Art bereits gut ausgestattet. Im Reichspatentamt standen sechs völlig automatisch arbeitende Reproduktionsapparate in Ver­wendung, sieben Firmen waren in gemieteten Räumen tätig, und in diesem Jahr allein wurden schon 726.471 Aufnahmen durchgeführt33). Weitgehende Pläne für eine Ausstattung aller Bibliotheken mit Aufnahme- und Lesegerä­ten konnten allerdings wegen des Kriegsausbruches nicht mehr in vollem Umfang realisiert werden. Auch im Budapester Staatsarchiv ist bereits im Jahre 1937 mit der Anlage eines Mikrofilmarchives begonnen worden34). 30) Eduard Widmoser Der Mikrofilm im Archiv in Scrinium 9 (1973) 13. 31) Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien Archivakten (AVA) 1814/1935. 32) Hofkammerarchiv Wien Archivverhandlungen 107/1937. 33) Josef Stummvoll Patentwesen und Dokumentation (Wien 1954) 23. 34) Der Archivar 11 (1958) 271. 1957 umfaßte der Bestand schon 6,5 Millionen Auf­nahmen.

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