Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

MIKOLETZKY, Lorenz: Archivar und Universität. Am Beispiel Franz Kürschners

Franz Kürschner 255 aufscheine. Professor Jäger fragte hierauf über den „historischen Glauben“ und die „Glaubwürdigkeit“ historischer Zeugen. Sickel erkundigte sich, ob in mehreren Urkunden Rudolfs I. sich die Bezeichnung „in palatio nostro re­gali“ finde, ferner „Was nennen wir in der Chronologie ,Epoche1?“ und fragte weiters über die Geschichte der Einführung des neuen Kalenders sowie über eine Reihe paläographischer und diplomatischer Details. Das Ergebnis: „Die Examinatoren erklären einstimmig das Colloquium als zu voller Zufrieden­heit bestanden anzusehen“18). Mit Wirkung vom 22. März wurde Kürschner zum Privatdozenten ernannt und war damit nach Ottokar Lorenz das zweite Institutsmitglied, das in Wien das Hochschullehramt ausübte19). Die Verbindung Archiv — Universität war hergestellt. Kürschner brachte sein Wissen aus dem Archiv in den Hörsaal. Vorerst hielt er im Sommersemester 1872 seine angekündigte Vorlesung über „Buchschriften des Mittelalters“, hauptsächlich für Philologen. Im folgenden Jahr gestattete ihm der Instituts­vorstand, im Institutshörsaal Übungen zur Paläographie abzuhalten (Don­nerstag und Samstag von 8-9 Uhr) und alsbald ließ Sickel sich durch Kürschner vertreten20). 1872/73 stand Chronologie auf dem Vorlesungsplan des Archivars, im Sommer 1873 „Urkundenlektüre“ und im Wintersemester 1873/74 zum ersten Mal auch ein dreistündiges Kolleg über Paläographie21). Am 12. Jänner 1874 erließ Sickel ein Rundschreiben an die Professoren des Instituts betreffend dessen Reorganisation. Kürschner äußerte sich zehn Tage später dazu in einem Promemoria über den Lehrgang in der Palaeographie nebst Heraldik und Archivskunde. Ein neues Fach wurde in den Lehrplan eingeführt, und nichts war nahehegender, als einen aktiven und habilitierten Archivbeamten damit zu betrauen. Kürschner legte seine Vorstellungen dar: „Das Institut für österreichische Geschichtsforschung hat nach § 1 seiner provisori­schen Statuten die Aufgabe, junge Männer zur tieferen Erforschung der Geschichte des österr. Kaiserstaates durch Anleitung zum Verständniß und zur Benützung der Quellen heranzubilden. Der Paläographie fällt es nun zu, in das formelle Verständ­niß der handschriftlichen Quellen (der Urkunden und Handschriften im weiteren Sinn) einzuführen. Zu diesem Behufe ist ein ununterbrochenes Studium in den beiden Seme­stern des Vorbereitungsjahres erforderlich, und zwar hat das 1. Semester nebst einer Einleitung über das Schriftwesen des Mittelalters im Allgemeinen mit den Schriftarten bis 1200 bekannt zu machen, während im 2. Semester die Schriftarten bis zum Beginn der Neueren Zeit zur Behandlung kommen. Um dieses Ziel zu erreichen sind im 1. Sem. 3, im 2. aber wenigstens 2 Wochenstunden nöthig. Dieses Zeitausmaß reicht, wie die Erfahrung lehrt, hin, um die Schriftarten des Ma. kennen zu lernen. Soll jedoch der Nutzen dieser Vorbereitungsstudien sich auch praktisch bewähren, so ist es noth- wendig, daß in einem der nächstfolgenden Semester die entsprechenden Übungen angestellt werden, theils um den bereits Orientirten tiefem Einblick in einzelne schwierigere Partien zu verschaffen, theils um zur Altersbestimmung der Schriften die nöthigen Anhaltspunkte zu geben. Zu diesem Zwecke dürften 3 Wochenstunden genü­1S) Universitätsarchiv Phil. Personal-Akten 333 aus 1871/72 fol. 4f. 19) Ebenda fol. 2f; HKA Kürschner fol. 83; HKA Hs. 23 fol. 87v; Lhotsky Institut 149. 20) Institutsakten Einlauf 1873; Lhotsky Institut 129. 21) Ebenda.

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