Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger
ZITTEL, Bernhard: Planung im Archivbereich
10 Bernhard Zittel theken voraus. Wen wundert es daher, daß die Archive nicht selten mit den Bibliotheken verwechselt oder ihnen zugeordnet werden. Wir sind uns bewußt, daß wir mit dieser Deutung an überkommenen Vorstellungen über das Wesen und die Aufgabe der Archive rütteln. Wir meinen: mit Recht. Die Archive sind längst dem Strahlenkranz des Geheimnisvollen entwachsen. Statt dessen sind sie in den Rang von Dienstleistungsbetrieben aufgerückt. Die XV. Table ronde, die vom 7.-10. Oktober 1974 in Ottawa tagte, hatte dieser Schwerpunktverschiebung Rechnung getragen, als sie unter dem Generalthema Archive und Öffentlichkeit die einschlägigen Teilbereiche: Veröffentlichungen, Ausstellungen und Dienstleistung im Schulbereich (Service éduca- tif) behandelte. Die lebhafte Aussprache, insbesondere darüber, ob die Archive vorrangig der Öffentlichkeit oder den ihnen zugeordneten (Abgabe-) Behörden zur Dienstleistung verpflichtet sind, ließ vor allem aus dem Kreise der Kollegen aus den jungen Ländern keinen Zweifel darüber aufkommen, wohin der Auftrag an die Archive weist. Dem Informationsrecht des Bürgers stellte sich in dieser Sicht die Informationspflicht der Archive entgegen4). Diese Absicht, ja Verpflichtung wird in den Thesen der Unesco- Konferenz deutlich unterstrichen: Die Verfasser dieses Papiers gehen davon aus, daß viele Menschen in zahlreichen Teilen der Welt keine Ahnung davon haben, wieviel Informationsmöglichkeiten für sie als potentielle Benützer auf der Ebene der Dokumentation, Bibliotheken und Archive schlummern, die sie aber zum Schaden der ganzen Gesellschaft gar nicht kennen. Es geht also darum, das Bewußtsein der Bürger als der künftigen Benützer zu bilden, insbesondere ihnen ihr Recht auf Information bewußt zu machen. Auf jeder Stufe der schulischen Ausbildung - so betont das Unesco-Papier - müßte den Schülern und Studenten der Weg zu den Informationsquellen gezeigt werden. In erster Linie werden hier die Universitäten angesprochen. In der Gegenrichtung soll die Ausbildung der Dokumentäre, Bibliothekare und Archivare stärker auf ihre Grundpflicht zur Vermittlung von Informationen abgestimmt werden 5). 4) Das Arbeitspapier hatte Christian Gut (Paris) ausgearbeitet. Die Spannweite der gegensätzlichen Auffassungen zeigt eine Gegenüberstellung der von Christian Gut ausgewerteten Umfrageergebnisse und der „klassischen“ Auffassung des Altmeisters der englischen Archivare, Sir Hilary Jenkinson Roots in Society of Archivists in Journal of the Society of Archivists 2 n° 4 (October 1961) 131—132, der mit Sir Thomas Hardy die Hauptaufgabe des Archivars im Aufbewahren des Archivgutes sah. 5) Die Zielsetzung der Unesco-Konferenz wurde programmatisch in 15 Thesen zusammengefaßt. These Nr. 2 befaßt sich mit dem Informationsrecht des Bürgers und der Informationspflicht der Bibliotheken, Archive und anderer Informationsträger: „Objectif n° 2 — Stimuler la prise de conscience de lüsager — Afin de favoriser la prise de conscience de l’usager, les organismes appro- priés, notamment les universités et autres établissements d’enseignement, doivent inclure dans leur programme l’enseignement systématique de l’utilisa- tion des ressources en information disponibles dans tous les éléments du NATIS“ (= Systémes nationaux d’information). Die Begründung klingt etwas