Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 28. (1975) - Festschrift für Walter Goldinger

GASSER, Peter: Walter Goldinger, der Archivar der Ersten Republik

2 Peter Gasser Durch die zeitgeschichtliche Forschung ist die Abteilung II des Österreichi­schen Staatsarchivs in verstärktem Maße, was die Besucherfrequenz betrifft, zum Zuge gekommen. Ihr bzw. ihrem Vorgänger gehörte Goldinger seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten an bzw. stand er in den Jahren 1956-1972 vor. Wenn auch gegenwärtig u. a. die Betreuung der Benützer, wie man uns versi­chert, klaglos funktioniert, so ist dies Goldinger, der vorsorglich diesbezüg­lich die Weichen gestellt hat, zu danken. Seine eminente Bedeutung für Geschichtsforschung und Archivwesen ist möglicher- und bedauerlicherweise erst von einem relativ engen Kreis von Fachexperten erkannt worden. Für weite und weiteste Kreise wird Goldinger zu einem Begriff erst werden, wenn die gegenwärtig vielfach auch Archive und Institute nicht verschonende hektische Arbeitsweise einer ruhigeren, sachlicheren, kurzum gediegeneren Forschungstätigkeit weichen wird. Die Weiterbildung des Archivnachwuchses zählt, wie Goldinger kurz nach seiner Bestellung zum Generaldirektor engeren Mitarbeitern gegenüber er­klärte, zu einer der ihm am meisten am Herzen liegenden Aufgaben. Ab 1976 wird so mancher Baiast administrativer Natur wegfallen und Goldingers Ar­beitskraft, wir hoffen es, nicht nur für die weitgesteckten Forschungsaufga­ben, die er als akademischer Lehrer'sich gestellt hat, sondern auch für die weitere fachliche Betreuung junger Archivare frei werden. Geistige Spannkraft und körperliche Gesundheit mögen ihm lange, lange, so lautet unser aller Wunsch, erhalten bleiben. Ein optisches Gesetz besagt, daß, wohin viel Licht, auch viel Schatten fällt. Gibt es bei Walter Goldinger Schatten? Ja, einen kleinen aber immerhin gravierenden Schatten gibt es - seine übertriebene Bescheidenheit, die von allen, die ihn schätzen und ihm zugetan sind, als ärgerlich empfunden wird. Indem wir diese Laudatio nun­mehr abschließen - es ließe sich hier ja so viel, viel mehr sagen -, zollen wir dieser Bescheidenheit Respekt und tragen ihr Rechnung. Am 9. September 1972 wurde Walter Goldinger vom Bundespräsidenten durch die Verleihung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst geehrt. Die Österreichische Akademie der Wissenschaft ernannte ihn am 14. Mai 1974 zum korrespondierenden Mitglied der philosophisch-hi­storischen Klasse, und am 31. Juli 1974 ist ihm, als erste ausländische Aus­zeichnung, das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepu­blik Deutschland verliehen worden. Verbittert hat ein anderer österreichischer Archivar angesichts der vielen Ehrungen, die ihm am Lebensabend zuteil wurden, die Worte „zuviel und zu spät“ ausgesprochen. Wie steht es bei Walter Goldinger? Zuviel - sicherlich nicht, zu spät - vielleicht.

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