Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 27. (1974)
MAZOHL-WALLNIG, Brigitte: Auf den Spuren der österreichischen Geschichte in italienischen Archiven
432 Archivberichte Wer nun daran gehen will, die Geschichte des südlichsten Teiles der Habsburger-Monarchie, die Geschichte Lombardo-Venetiens, und im besonderen die letzte Epoche der österreichischen Herrschaft, die Zeit von 1814—1859 (bzw. 1866 in Venetien) zu erforschen, wird versuchen müssen, jenen süd- habsburgisch-italienischen Gesichtspunkt, der in der österreichischen Historie bisher stiefmütterlich behandelt worden war, aufzuzeigen. Er wird versuchen müssen, die Rolle, welche die italienischen Gebiete im Gesamtverband der Monarchie gespielt hatten, herauszustellen und so das Bild der Habsburger-Monarchie im 19. Jahrhundert nach Süden hin abzurunden. Ebenso wesentlich wird es aber sein, jene bedeutende Einflußnahme der österreichischen Tradition auf die oberitalienischen Gebiete, nicht zuletzt auch auf das spätere Königreich Italien, zu erfassen und zu erkennen, ein Gedanke, den die italienische Geschichtsschreibung bisher unberücksichtigt gelassen hat. Die Einbeziehung der österreichischen Elemente in die italienische Geschichte wird für das Verständnis des historischen Werdeganges Italiens von grundlegender Bedeutung sein. Und nur im Ineinandergreifen dieser beiden Gesichtspunkte, im Miteinander und Gegeneinander der österreichischen Geschichte in Italien und der italienischen Geschichte in Österreich, sollte eine historische Darstellung über die oberitalienischen Länder Lombardo-Venetien im 19. Jahrhundert verstanden werden. Doch schon die Anfänge eines solchen Bemühens, das Aufspüren der Quellen, läßt die Schwierigkeiten erkennen, die sich bei diesem Vorhaben stellen müssen. Die Territorialveränderungen nach den Kriegen von 1859 und 1866, die politischen Verschiebungen innerhalb Italiens 1861 und 1870, vor allem aber die Konsequenzen des Friedensschlusses von 1919, haben ihre Auswirkungen auch auf die Quellenbestände gehabt. Wo könnten heute die Akten des ehemals österreichischen lombardo-venezianischen Königreiches liegen, nachdem dieses im Zuge der Risorgimentokriege dem italienischen Königreich Piemont-Sardinien angegliedert worden war? Wurden sie nach Turin, der damaligen Hauptstadt Piemont-Sardiniens und späteren kurzzeitigen Hauptstadt des neuen Einheitsstaates, gebracht oder aber wurden sie nach Rom übersiedelt, das im Jahr 1870 endlich zur Hauptstadt des Königreiches Italien geworden war? Inwieweit wurden die Aktenbestände der früher zu Österreich gehörenden Gebiete in den österreichischen Zentralstellen belassen? Und welche Rolle spielten in dieser Hinsicht Mailand und Venedig, die ursprünglichen Hauptstädte der — innerhalb der Gesamtheit des lombardo-venezianischen Königreiches — parallel verwalteten Länder Lombardei und Venetien? Es gibt keine umfassende Übersicht und Zusammenstellung der aus der Geschichte des lombardo-venezianischen Königreiches erwachsenen Archivbestände; selbst Spezialisten der italienischen Geschichte wissen auf die Frage nach dem entsprechenden Quellenmaterial nur unsichere Antworten zu geben. in Italien erschienene Werk zur Geschichte Lombardo-Venetiens vor der italienischen Einigung von Nicola Raponi Politica e amministrazione in Lombardia agli esordi dell’unitä. II programma dei Moderati (Milano 1967).