Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel
402 Ernst Joseph Görlich Lehnt ab, die zwei von mir Vorgeschlagenen, Heimerl und Ferber, einzuladen, er kenne sie nicht. Weitere Sitzungen: 8. Juni, 22. Juni, 6. Juli, 20. Juli, 27. Juli, 30. Juli, 3. August, 6. August. Wird immer schwächer besucht. Ausarbeitung von Aufsätzen, Seifert über Kommunismus, Lugmayer über ..., ich über soziale Gerechtigkeit. Große Ausstellungen und Streichungen meiner Arbeit. Anfangs hätte ich gar das Systematische darin ausmerzen sollen! Usw. Wurde dann mit Vorbehalt von Reininghaus angenommen. Schon in der 1. Sitzung sagte ich, so werde nichts herauskommen. In der zweiten Sitzung sagte mir Reininghaus: „Sie sehen, daß etwas ganz anderes daraus (aus meinen Anregungen) geworden ist. Nach der letzten Vor-Ferien- sitzung (nur Reininghaus, Seifert und ich anwesend) hatte ich eine längere Auseinandersetzung mit Reininghaus, in der er jede soziale Volksbewegung auf dem Boden der katholischen Aktion ablehnte. 24. August schrieb ich an Dr. Rudolf über den Bankrott der katholischen Aktion und verlangte eine baldigste Besprechung in einem auserlesenen Kreis vor dem Kardinal. Darauf erhielt ich keine Antwort. (39) Ferber — Reininghaus. Im Feber 1938 berichtete mir Ferber, er sei von Reininghaus zu einer Besprechung eingeladen worden — derselbe Ferber, den Reininghaus angeblich nicht kannte! Reininghaus sagte ihm, er habe den Arbeitskreis einschlafen lassen. So wie Orel sich das gedacht habe, gehe das nicht. Es sei viel zu umfassend. Aber er (= Reininghaus) wolle nun eine Arbeiterbewegung mit dem Programm „Lohngerechtigkeit“ einleiten. Wer ist der Quertreiber??? (40) Versuch bei der Regierung. 12. August 1937 mein Schreiben an den Justizminister Dr. Pilz. 9. September erste Unterredung mit ihm (y2 11 h bis nach 1 h). Ich lege das Umsichgreifen der Verzweiflungsstimmung dar: Wiesinger, Kleinhappl, Veit (?). Bei Wiesinger sagte er: „Das ist ja, daß die Leute nicht mitarbeiten“. Bei Veit fragt er, was ich von Neuland halte. Wie ich sage, es gebe doch eine Rettung, meint er: „Du willst den Zins abschaffen?“ Ich: „Das kann nur als Ergebnis großer Reformen eintreten, anfangen kann man nicht so“. Man müßte z. B. mit einer wahren Ständeordnung endlich beginnen. Was bis jetzt geschehen sei, habe mit dieser und Quadragesimo anno nichts zu tun. Man rede in immer weiteren Kreisen vom Versagen des Ständestaates. Über die Regierung zuckt man mit den Achseln und sagt, man begreife sie nicht. „Sage mir: Was denkt sich eigentlich die Regierung? Wer regiert eigentlich bei uns? Die Hochfinanz?“ Pilz fährt zurück: „Aber keine Idee!“ Ich: „Aber alles, was geschieht, liegt in der Richtung der kapitalistischen Interessen.“ Pilz: „Du verkennst unsere Situation. Wir sind in einer belagerten Festung. Auf der einen Seite haben wir den Bolschewismus, auf der anderen den Nationalsozialismus. Wir haben mit der Verteidigung alle Hände voll zu tun und können jetzt nicht noch einen inneren Umbau durchführen.“ Ich: „Gerade darum müßte man im Innern die rechte Ordnung herstellen.“ Pilz: „Dazu sind die Gesinnungen der Menschen zu schlecht. Das erste ist die Sittenverbesserung. Aber es fehlt die Gnade; der Geist weht, wo er will.“ Ich: „Die Gnade kommt, wenn wir sie durch Taten herbeirufen. Wenn wir nichts tun, kommt auch keine Gnade, wir fahren in den verdienten Untergang.“ Entsetzlich sei das Schicksal der Jugend, die zur