Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
WELTIN, Max: Kammergut und Territorium. Die Herrschaft Steyr als Beispiel landesfürstlicher Verwaltungsorganisation im 13. und 14. Jahrhundert
30 Max Weltin als Beziehungswort einer Amtsbezeichnung verknüpft ist1S1). Wenn aber 1336 der Hauptmann ob der Enns, Eberhard V. von Wallsee, in einer Florianer Urkunde als „Pfleger ob der Enns“ bezeichnet wird 152 153), dürfte man dann vielleicht schließen, daß Irnfried einer seiner Vorgänger gewesen ist, und daß dementsprechend das Land ob der Enns zwar noch nicht 1264, wohl aber 1273 ein eigener Verwaltungsbezirk war? Nur der Zufall, daß Irnfrieds Siegel erhalten geblieben ist, bewahrt uns vor einer Fehlinterpretation. Die Umschrift dieses Siegels lautet nämlich: SIGILLUM) IRNVRIDI FILII GOZZONIS. Dadurch ergibt sich ein völlig anderer Sachverhalt: Der „Pfleger ob der Enns“ ist der Sohn Gozzos, des Generalpächters der landesfürstlichen Einkünfte von Oberösterreich für das Jahr 1273 163). Gozzo mußte natürlich versuchen, in dem einen Jahr den größtmöglichen Gewinn aus seinem Pachtobjekt herauszuwirtschaften. Sein Sohn war dabei wohl sein Interessenvertreter in den großen obderennsischen Herrschaften, der für den reibungslosen Eingang der verschiedenen Abgaben zu sorgen hatte. Wie sein Vater übte auch Irnfried eine öffentlichrechtliche Tätigkeit aus und ist somit den an der Steyrer Rechtshandlung Beteiligten als ein „Pfleger“ erschienen 154). Am Beispiel Irnfrieds kann recht prägnant ersehen werden, wie problematisch es sein kann, aus der bloßen Erwähnung eines „iudex“ oder „Pflegers“, selbst mit entsprechender Lokalbezeichnung, bedeutende verfassungsgeschichtliche Änderungen abzuleiten, ohne vorher wenigstens zu versuchen, den vereinzelt dastehenden Amtsträger auf dem Hintergrund seiner momentanen Bedingtheit zu fixieren 155). 151) Im Gegensatz zu früheren (1265) nur geographisch zu wertenden Benennungen; vgl. Zibermayr Noricum 456. 152) UBOE 6 (1872) 196. 153) pie urkundlichen Erwähnungen Irnfrieds sind zusammengestellt bei Anton Kerschbaumer Gozzo. Ein Kremser Bürger des 13. Jahrhunderts in BlLkNÖ NF 29 (1895) 152 f. 154) wir haben hier die erste deutschsprachige Urkunde des heutigen Oberösterreich vor uns (Max V a n c s a Das erste Auftreten der deutschen Sprache in den Urkunden [Leipzig 1895] 35, gibt als älteste deutschsprachige Urkunde Oberösterreichs UBOE 3 439 [1276 August 28] an). Da sich der Rechtsverkehr bekanntlich mündlich in der Sprache der Laien vollzog (Philipp Heck Übersetzungsprobleme im frühen Mittelalter [Tübingen 1931] 2), darf „Pfleger“ als Grundwort gelten, das nicht erst durch Rückübersetzung (etwa aus einem lateinischen „procurator“) gewonnen wurde. Daß in einem Pfleger vor allem der Stellvertreter eines anderen gesehen wurde, geht auch aus UBOE 3 545 f (1282 März 31) hervor, wo Wernhart von Schaunberg den königlichen Statthalter Albrecht mit „landes pflegäre von Österreich“ bezeichnet. Andere gleichzeitige Entsprechungen für Albrecht sind vicarius generalis, vicarius et rector und provisor; vgl. Alphons Lhotsky Geschichte Österreichs seit der Mitte des 13. Jahrhunderts (1281—1358) (Wien 1967) 51 Anm. 2. 155) Darauf wies schon Franz K r o n e s Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogtums Steir von ihren Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der