Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

OBERMANN, Karl: Die österreichischen Reichstagswahlen 1848. Eine Studie zu Fragen der sozialen Struktur und der Wahlbeteiligung auf der Grundlage der Wahlakten

Reichstagswahlen 1848 373 Abgeordneten00). Auch hier zeigt sich also wieder, daß die Zahl der Wahlberechtigten nur selten über 10% der Einwohner hinausging und oft sogar nur 8—9% betrug, zudem meistens über die Hälfte der Wahlberech­tigten nicht zur Wahl erschienen, so daß die „absolute Mehrheit“ bei der Wahl der Abgeordneten durch die Wahlmänner den Stimmen von etwa 5 % der Einwohner entsprach. III Abschließend kann also festgestellt werden, daß die österreichischen Reichstagswahlen zwar in den politischen Auseinandersetzungen eine gro­ße Rolle spielten, aber nicht von allgemeinen Wahlen die Rede sein konn­te. Mit Hilfe der Wahlordnung, die seit April 1848 im Mittelpunkt der Kritik und der Auseinandersetzungen gestanden hatte, war es den Be­hörden gelungen, die Zahl der Wahlberechtigten erheblich zu beschränken. Von der Bestimmung, daß die Wahlberechtigung nur bei sechsmonatigem ständigen Aufenthalt am Wahlort gegeben war, wurde eifrig Gebrauch gemacht, aber vor allem wurden auch diejenigen von der Wahl ausge­schlossen, die in einem Dienstverhältnis bzw. Lohnverhältnis standen. Der Begriff „selbständige Arbeiter“, die zur Wahl zugelassen werden sollten, ist allem Anschein nach sehr verschieden in den Provinzen und Wahl­bezirken interpretiert worden, so daß in weitgehendem Maße Handwerks­gesellen und Lohnarbeiter, überhaupt Lohnempfänger, namentlich auf dem Lande auch die Einlieger und andere Landarbeiter, als angeblich „unselbständig“ bzw. in einem abhängigen Dienstverhältnis stehend aus­geschlossen blieben. Damit wurde den Wahlen der allgemeine Charakter genommen, was dazu führte, daß auch bei vielen Wahlberechtigten das Interesse an der Wahl erlahmte, weil sie nicht mehr daran glaubten, mit der Wahl etwas zugunsten ihrer Wünsche und Forderungen erreichen zu können. In vielen Provinzen konnten sich allerdings die Bauern durch­setzen. Es gelang ihnen, eine Anzahl tatkräftiger Vertreter ihrer Interes­sen als Abgeordnete in den Reichstag zu wählen. Nicht nur in Galizien, sondern auch in Schlesien, in Nieder- und Oberösterreich ging es den Grundbesitzern, den Groß- und Mittelbauern, die die Wahlmänner stell­ten, vor allem um die Beseitigung der Robotverpflichtungen 61). Die Analyse der sozialen Zusammensetzung der in den Bezirken ge­wählten Wahlmänner vermittelt aber vor allem einen Einblick in das 1848 bestehende soziale Kräfteverhältnis. Die Wahlmänner können als diejenigen betrachtet werden, die in der Wahlbewegung ihres Distrikts bzw. Bezirks hervortraten und sich jedenfalls engagierten. Es zeigt sich hier deutlich, daß neben den grundbesitzenden Bauern die in den Orts- 60 60) Ebenda. «i) Vgl. Springer Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809 2 403 f.

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