Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

RILL, Gerhard: Humanismus und Diplomatie. Zur Geschichte des Gesandtenwesens unter Ferdinand I.

578 Gerhard Rill mo“ 53). Die Abwertung der diplomatischen Oratio und der von Bembo vertretenen Tradition sind demnach nur zwei Aspekte eines Vorganges. Für die Diplomatie nördlich der Alpen mußte die Abkehr angesehener Humanisten von der Bembo-Schule ein Nachlassen von Impulsen zur Folge haben. War das Imitationsprinzip hier, wie Erasmus bezeugt, all­mählich zu einem Zerrbild der ursprünglichen, kritischen und psycholo­gisch durchdachten Lehrmeinung geworden, so wandelte sich der freie Eklektizismus vollends zur unorganischen Verbindung einer Taktik, die auf den Augenblick bedacht und von ethischen Werten völlig unbelastet war, mit willkürlich angehäuften Phrasen. Man redete zu lange, wie etwa die erfolglosen kaiserlichen Gesandten in Moskau 1518 54), und man übertrieb in Gestik und Lautstärke, — „magna cum voce et lateribus, ut par est Germanis“, wie die Zuhörer Fabris in Greenwich 1527 urteilten 55). Die von mittelalterlichen Gesandten häufig produzierten Entgleisungen, denen die Disziplin der ciceronianischen Rede einen Riegel vorgeschoben hatte, lebten wieder auf. Am deutlichsten zeigt sich der Bankrott der eklektizistischen Richtung in ihrem Verhältnis zu ethischen Grundsätzen, die dem überzeugten Ciceronianer unantastbar waren. Der Bischof Eras­mus von Plock, der am Reichstag zu Augsburg 1518 eine aufsehenerre­gende, moralisch kompromißlose Rede gehalten hatte, wandte kurz darauf in Rom alle Mittel der Hintertreppendiplomatie an; ähnlich Dantiscus, dem bei seinem rhetorischen Auftritt sogar die Ausdrucksmöglichkeiten der Prosa zu gering erschienen waren56). Der nächste Schritt bestand darin, daß die Diplomatie die ausgetrocknete Hülle klassischer Sprach- disziplin überhaupt abstreifte. Die Gewandtheit in lateinischen Aus­drucksformen ging in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stark zu­53) Zum Imitationsstreit vor allem Hermann G m e 1 i n Das Prinzip der Imi­tatio in den romanischen Literaturen der Renaissance in Romanische Forschun­gen 46 (Erlangen 1932) 83—360 (229 ff und bes. 240 Stellungnahme des Erasmus) und die Neubewertung Bembos durch Giorgio Santangelo 11 Bembo critico e il principio d’Imitazione (Firenze 1950) bes. 46 ff, 59 ff und W. Theodor E1- w e r t Studi di letteratura veneziana (Civiltä veneziana. Studi 5, Roma 1958) 111—145. 54) Zivi er Neuere Geschichte Polens 1, 180 ff; andere Beispiele bei Queller The Office of Ambassador 196 ff. 5B) Calendar of state papers and manuscripts ... existing in the archives and collections of Venice 4, by R. Brown (London 1871) 39 f; Calendar ... existing in the archives and collections of Milan 1, by B. Hinds (London 1912) 496 f. Diesbezügliche Vorschriften für die Gesandten bei H r a b a r De Legatis 12 f, 68. Über die Rede Fabris Leo Helbling Dr. Johann Fabri, Generalvikar von Konstanz und Bischof von Wien 1478-—1541 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 67/68, Münster i. W. 1941) 72 ff. 56) Zivi er Neuere Geschichte Polens 1, 197, 205 ff; Arthur Rhode Der erste Berufsdiplomat in Polen, Johannes von Höfen, gen. Dantiscus in Deutsch-Polnische Nachbarschaft (Würzburg 31957) 99—115.

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