Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky
RILL, Gerhard: Humanismus und Diplomatie. Zur Geschichte des Gesandtenwesens unter Ferdinand I.
Humanismus und Diplomatie 579 rück57). Meisterstücke humanistischer Rhetorik wurden bestenfalls ästhetisch gewürdigt, wenn man sie überhaupt anhörte. Kunstvolle Umschreibungen wichen der unverblümten Mitteilung. Von nun an wird alles anders, schrieb Salinas 1533 an Castillejo, denn man müsse nach all dem finanziellen Elend und den politischen Mißerfolgen an sich selbst denken und jenem Herrn dienen, der zu belohnen wisse58). Staatlicher und persönlicher Egoismus aber lassen sich in den einzelnen Personen oft kaum voneinander trennen. Balbi, einer der gewandtesten Stilisten, zugleich ohne moralische Hemmungen und dabei ein Wegbereiter der Diplomatie Ferdinands I., ist ein typischer Vertreter jenes „Landsknechtstums der Diplomatie“59 *). Die profilierteste und erfolgreichste Erscheinung dieser Species war jedoch zweifellos Hieronymus Laski, dessen Aktionsradius von der Pyrenäenhalbinsel bis Konstantinopel reichte; schlagfertig, klug, ja weise, sei er doch ein von seiner eigenen „instabiltä“ Getriebener, — charakterisierte ihn Aleander °°). Männer dieses Schlages, nicht sprach- gewaltige Oratoren, waren es schließlich, die den Fürsten unentbehrlich wurden, die die Gegenseite zu kaufen suchte oder, wenn dies nicht gelang, durch ganz Europa hetzte. Nochmals muß darauf hingewiesen werden, daß ein direkter Weg von einem ungelösten Kernproblem der Renaissance zum Chaos in der Diplomatie, zur „diplomacy of ill-will“, führt. In der Theorie des Gesandtenwesens war die Entwicklung von der verbindlichen Moral des bonum comune zum staatlichen Egoismus bereits im 15. Jahrhundert abgeschlossen 61 62). Das durch den Verlust der Identität von humanistischer Gesinnung und bürgerlichem ,Umgang“ entstandene Vakuum blieb allerdings unerträglich. Das Völkerrecht, das räumlich viel weiter ausgriff als die klassische Ethik, inhaltlich jedoch nur einen Sektor dieser umfaßte, und der Neustoizismus wurden für die nächste Zukunft die wichtigsten Ordnungsfaktoren im Zusammenleben der Staaten. Im gleichen Prozeß schied die Oratio aus der Diplomatie. Kontroversen (an denen sich noch Melanchthon beteiligte82)) — über die Unvereinbarkeit oder Prävalenz 57) vgi. Mattingly Renaissance Diplomacy 225. 58) Villa El Emperador Carlos V 528 f, ähnlich 567 (1534 März). Die abwertenden Bemerkungen Peter Rassows (Die Kaiser-Idee Karls V., dar gestellt an der Politik der Jahre 1528—1540 [Hist. Studien 217, Berlin 1932] 146) lassen die realistischen, oft ironisierenden Urteile Salinas’ unberücksichtigt. 59) Meinecke Staatsräson 231 (für das 17. Jahrhundert). so) Nuntiaturberichte aus Deutschland 1/4, hg. von Walter Friedensburg (Gotha 1893) 171. 61) Garrett Mattingly Changing Attitudes towards the State during the Renaissance in Facets of the Renaissance (Los Angeles 1959) 24 f, 32 f an Hand der von H r a b a r De Legatis passim publ. Traktate. 62) Corpus Reformatorum, ed. Carolus Gottlieb Bretschneider 9 (Halis Saxonum 1842) 687—703; Quirinus Breen Melacthons reply to G. Pico della Mirandola in Journal of the History of Ideas 13 (1952) 413—426. 37*