Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

RILL, Gerhard: Humanismus und Diplomatie. Zur Geschichte des Gesandtenwesens unter Ferdinand I.

Humanismus und Diplomatie 577 Speyrer Reichstag 1542 in eineinhalbstündiger Rede die auf ein innerlich geeintes Deutschland“ gerichteten Wünsche Frankreichs vertrat 48). Hier zeigt sich deutlich der Abstand, den der eloquente, tüchtige Ge­sandte von den Prinzipien humanistischer Rhetorik gewonnen hatte. Selbst so verschiedenartige Persönlichkeiten wie Petrarca 49), Poliziano 50) und Savonarola 51) waren sich noch darüber einig gewesen, daß der voll­kommenen Oratio eine verbindende, belehrende, überzeugende, nie aber eine verfälschende Kraft innewohne. Wenn Cicero jene Funktion der Rede, die von Mißverständnissen und durch Schultradition bewirkten Vorurteilen reinigen sollte, hervorhob, dann ergab dies speziell für den diplomatischen Kontakt eine ausgezeichnete Basis 52). Am Beginn unserer Epoche fand jedoch eine — meist nur in ihren literarischen Auswirkun­gen beachtete — Kontroverse statt, die die Möglichkeit der Weiterent­wicklung ,ciceronianischer Diplomatie“ praktisch ausschloß. Es handelt sich um den sogenannten Imitationsstreit von 1512, dessen Symptome seit Petrarca (eigentlich schon in der Antike) erkennbar sind. In der briefli­chen Auseinandersetzung zwischen Bembo und Giovanni Francesco Pico della Mirandola, dem Neffen und Biographen des berühmten Synkreti­sten, erreichte er seinen letzten Höhepunkt. Während Pico den freien Eklektizismus, die aemulatio, forderte, erklärte sich Bembo im Sinne der menschlichen Natur, die eine Mehrzahl von Leitbildern nicht ertragen könne, für die imitatio Ciceros, der Inkarnation antiker Prosa. Mit Bembo hatte sich der Schwerpunkt des klassizistischen Humanismus von der Kurie, an der laut Giovio ,eine Art jahrelanger Theatervorstellung des alten Rom“ stattgefunden hatte, nach Padua verlagert. Die Auswir­kungen Bembos sind räumlich kaum zu begrenzen, thematisch reichten sie von ethischen Prinzipien der Latinität bis in die Details des Privat­lebens. Je weiter man sich jedoch räumlich und zeitlich vom Zentrum Padua entfernte, desto mehr verflachte diese imitatio. Erasmus, der seit 1515 allmählich schärfer gegen die Ciceronianer auftrat, kam im Cicero­nianus (1528) zu dem Ergebnis: weder im Gerichtswesen, noch vor einer Kirchenversammlung und schon gar nicht gegenüber dem Volk sei diese Art der Rhetorik heute verwendbar, — höchstens für den Gesandten tauge der Pomp ciceronianischer Rede noch, „ex more magis quam ex ani­48) Nuntiaturberichte 1/7, 118. 4») Eugenio Garin L’umanesimo italiano (Bari 41970) 26 f. 50) Ebenda 86. 61) Queller The office of Ambassador 86. 52) Vgl. die Interpretation von Pasquale Giuffrida Ricerche sull’ecletti- cismo ciceroniano (Torino 1963) 158 f, ausgehend von Tusc. 5 („... quorum oratio nihil ipsa iudicat, sed habetur in omnes partes ut ab aliis possit ipsa per sese nullius auctoritate adiuncta iudicari ...“). Mitteilungen, Band 25 37

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