Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

NECK, Rudolf: Von den Kategorien der historischen Vernunft

522 Rudolf Neck Aufbau der geschichtlichen Welt, sondern sein Gesamtwerk. Hiezu ist von der zünftigen Historie noch nicht genügend Stellung bezogen worden. Sein Versuch, neben der Philosophie eine Erkenntnistheorie der Geschich­te zu schaffen, ist nur teilweise von Erfolg gekrönt worden. Aber es bleibt sein Verdienst, dem Phänomen der Subjektivität mit historischen Kate­gorien begegnet zu sein26). Mehr noch: er hat die historische Vernunft als das Vermögen des Menschen formuliert, die von ihm geschaffene Gesellschaft und Geschichte zu erkennen 27 28). Eine lange Liste von Kate­gorien dieser historischen Vernunft, freilich noch ohne Systematik, lassen sich aus seinem Gesamtwerk erschließen 2S). Das Hauptaugenmerk von Diltheys erkenntnistheoretischen Untersu­chungen ist der Frage des Verstehens gewidmet, wie dasselbe möglich ist. Hier wie bei Husserl treten die psychologischen Momente des Erlebens in den Vordergrund. Dabei erweisen sich die angewandten Medien für unsere neue Zeit als ungenügend, sodaß auch hier letzten Endes ein Versagen der Erkenntnistheorie gebucht werden muß 29). Diese gesamte Problematik wird befriedigend kaum zu lösen sein, solange es nicht ge­lingt, in der modernen Erkenntnistheorie eine lebensfähige Symbiose von phänomenologischer Methode und analytischer Philosophie zustandezu­bringen 30). Im Gesamturteil wird man Diltheys revolutionäre Thesen und Konstruktionen nicht so sehr als Ergänzung Kants für die Naturwissen­schaften bewerten müssen, sondern zu allererst als einen entscheidenden Fortschritt für die Geisteswissenschaften, wohl den wichtigsten seit zwei Jahrhunderten 31). Die Problematik der Geschichte ist besonders akut im deutschen Sprachgebiet, wozu die besonderen historischen und vor allem ideenge­schichtlichen Verhältnisse beitragen. Wir können unserem Thema kaum gerecht werden, wenn wir nicht die speziellen Entwicklungen und Vor­aussetzungen der deutschen Geschichtswissenschaft berücksichtigen. Hier bahnt sich seit dem Zweiten Weltkrieg immer mehr eine tiefgreifende Wandlung an, die im wesentlichen daraufhinzielt, den Schwerpunkt von der Staats- und Machtgeschichte auf die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu verlegen und jenen Schritt zu dem naturrechtlich-humanen und frei­26) Hellmut D i e w a 1 d Wilhelm Dilthey. Erkenntnistheorie und Philosophie der Geschichte (Göttingen 1963) 183 ff. 27) D i 11 h e y Werke 8, 264. 28) D i e w a 1 d Dilthey 221 ff, besonders 238 ff. 29) Otto Friedrich B o 11 n o w Philosophische Erkenntnis (Stuttgart 1970) 32 ff. 30) C. A. van P e u r s e n Phänomenologie und analytische Philosophie (Stuttgart 1969). 31) Peter Krausser Kritik der endlichen Vernunft. Wilhelm Diltheys Revolution der allgemeinen Wissenschafts- und Handlungstheorie (Frankfurt/M. 1968) 84 ff.

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