Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

NECK, Rudolf: Von den Kategorien der historischen Vernunft

Von den Kategorien der historischen Vernunft 521 „Dies ist der Jugend edelster Beruf: Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf“ 20). Immerhin muß festgestellt werden, daß sowohl die Marxisten als auch die Positivisten in ihrem Denken die Geschichte als eigenständige Diszi­plin stets anerkannten und, eine immer wieder zu beobachtende Erschei­nung, auf der von ihnen bezogenen Position zu verteidigen bemüht wa­ren. So haben zuletzt marxistische Philosophen und Soziologen die An­griffe des Strukturalismus gegen die Geschichte abgewehrt und den Anti­historismus eines Althusser, aber auch von Lévi-Strauss, zurückgewie­sen 20 21). Die Auseinandersetzung mit der Existenzphilosophie, die die Geschichtlichkeit als Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit auffaßte und eine immanente Vernunft anerkannte, ist bereits abgeschlossen 22). Wenn wir aber von der großen Diskussion in der Folge von Hegel und Marx absehen, müssen wir doch noch einige Erscheinungen der Gei­stesgeschichte erwähnen, die ebenfalls auf die Krise der Geschichtswissen­schaft Bezug nahmen und einwirkten. Hier ist vor allem Nietzsche mit seinen Unzeitgemäßen hervorzuheben, in denen er den Nutzen und Nach­teil der Historie für das Leben abwog. Damit wurde zum ersten Mal der historische Sinn an sich als etwas Morbides, dem Leben letzten Endes Ungemäßes und auch Abträgliches charakterisiert. Geschichte wird nur von starken Persönlichkeiten ertragen, schwache löscht sie aus. Objektivi­tät und Gerechtigkeit sind verschiedene Kategorien, die Vergangenheit ist nur aus der Kraft der Gegenwart zu deuten23). Man hat kürzlich mit Recht festgestellt, daß diese Kritik Nietzsches sich letzten Endes gegen den damals noch nicht als solchen fest umrisse- nen Historismus richtete und daß der Philosoph und Seher damit seiner Zeit um mindestens zwei Generationen voraus war 24). Er hat den Sub­jektivismus des methodischen Objektivitätsideals nachgewiesen, als er den Sieg der wissenschaftlichen Methode über die Wissenschaft als charak­teristisches Kennzeichen seines Jahrhundert hervor hob 25). Es ist freilich hier anzumerken, daß diese merkwürdige Erscheinung sich natürlich nicht auf die geschichtlichen Fächer, auch nicht auf die Geisteswissenschaften im weiteren Sinn beschränkte. Für die heutige Situation der Geschichtswissenschaft die größte Bedeu­tung aber hat die Philosophie von Wilhelm Dilthey, nicht nur der 20) Faust V. 6793 f. 21) Alfred Schmidt Der Strukturalistische Angriff auf die Geschichte (Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt/M. 1969) 194 ff. 22) Nicola Abbagnano Philosophie des menschlichen Konflikts (Hamburg 1957) 62 ff. 23) Vom Nutzen und Nachteil der Historie § 6. 2i) Dieter Jährig Nietzsches Kritik der historischen Wissenschaften in Praxis 6 (1970) 223 ff. 25) Wille zur Macht n. 466.

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