Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

NECK, Rudolf: Von den Kategorien der historischen Vernunft

Von den Kategorien der historischen Vernunft 519 Schichtswissenschaft trifft diese umso mehr, als gerade hier die Synthese erwartet und gefordert wird. Daß dies nicht immer so gewesen ist, beweisen Herders Ideen, die, in ihrer Zeit vom Geiste der Aufklärung getragen, bereits in die Zukunft wiesen und dabei über ihren philosophischen Gehalt hinaus doch ein eminent historisches Werk darstellten, in jeder Beziehung den wissen­schaftlichen Ansprüchen seiner Zeit entsprechend. Hier erwies der uni­versale Charakter die enge Nähe von Geschichte und Philosophie, abge­sehen davon, wie weit sich die beiden Disziplinen auch sonst unterschei­den. Dennoch war es in der Folge die Geschichtsphilosophie im engeren Sinn, die versagt hat, und es entsteht der Eindruck, gerade wenn man die Zeit seit 1900 überblickt, daß dies darauf zurückzuführen ist, daß man die Arbeit den Philosophen überließ. Man muß vom Historiker in Hin­kunft mehr Mut zur Philosophie verlangen und die vielfach als unlieb­sam empfundene Affinität der beiden Disziplinen nicht scheuen. Tatsächlich barg diese Nähe der Philosophie zur Geschichte von Anfang an eine existentielle Gefahr und ist in vieler Beziehung die eigentliche Ursache der Fragwürdigkeit der wissenschaftlichen Positionen der Histo­riker. Gerade als sich die Geschichtswissenschaft im deutschen Raum voll zu entfalten begann, im Zeitalter der Romantik, begann auch die Blüte der Hegelschen Philosophie. Es ist nicht mein Beruf und hier nicht der Ort, dieses ungeheure geisti­ge Phänomen in allen seinen Aspekten, negativen wie positiven, auszu­loten. So ist zum Beispiel Hegels Unterscheidung von Geschichte und Historie — das bloß Historische ist tot, das echt Geschichtliche lebendig 10 11) — zweifellos ein fruchtbarer, weiterführender Ansatz für unsere Wissen­schaft. Bedenklich und fragwürdig wird die Hegelsche Philosophie aber in ihren metaphysischen Bezügen, sobald dieselben auf die Geschichte An­wendung finden. Mit dem Dogma der Identität, daß alles Wirkliche vernünftig und alles Vernünftige wirklich sei, dringt die Vernunft in den historischen Prozeß. Hier bilden sich zwischen einem kausalen Determinismus und der subjektiven Erfahrung menschlicher Freiheit jene unauflöslichen Anti­nomien, die wir schon seit Kant kennen n). Alle Versuche, sie zu über­winden, führen letzten Endes nur zu Scheinlösungen 12). 10) Vorlesungen über die Philosophie der Religion I. 11) Kritik der reinen Vernunft I. Transzendentale Elementarlehre. Zweite Abteilung: Die transzendentale Dialektik, Zweites Hauptstück: Die Antinomien der reinen Vernunft, Zweiter Abschnitt: Antithetik der reinen Vernunft, Dritter Widerstreit. io) Z. B. Pedrag Vranicki Mensch und Geschichte (Frankfurt/M. 1969) 58 ff.

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