Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

NECK, Rudolf: Von den Kategorien der historischen Vernunft

518 Rudolf Neck eine Krise, die nicht nur die Historie erfaßt hat, sondern die sogenannten Geisteswissenschaften allgemein. Freilich steht die Geschichte dabei im Zentrum, wenn man ihr etwa die Vermengung des Fach- und Beschauer­standpunktes sowie das Festhalten an einer engen europäischen oder humanistischen Grundposition zum Vorwurf machte 3). Es mag dabei frag­lich scheinen, ob die Isolierung unserer Zunft, die zunehmende Auflösung in einzelne Disziplinen, auf rein formalem Wege saniert werden kann 4). Eine Beschreibung und möglichst vollständige Erfassung der Kriterien un­serer wissenschaftlichen Tätigkeit kann nicht weiter führen, solange nicht die Frage der historischen Vernunft auf kategorialer Grundlage gelöst ist. Aber werfen wir noch einen kurzen Seitenbick auf das Geschichtsden­ken der Vergangenheit. In den Anfängen, lang vor der wissenschaftlichen Epoche, fühlte sich die archaische Geschichtsauffassung eins mit dem Kosmos 5). Die frühe Christenheit erhob die Geschichte zur Heilsgeschich­te; bestimmend wurde für sie der Gegensatz von Diesseits und Jenseits, von Gegenwart und Zukunft6). Im Mittelalter bewies sich dann die Stabi­lität dieses Geschichtsbildes, in dem gerade die Verknüpfung von Vergan­genheit, Gegenwart und Zukunft als eine für unseren abendländischen Kulturkreis tragende kategóriáié Geschichtsdenkform nicht mehr in Zwei­fel gezogen wurde 7). Als Wissenschaft wurde die Geschichte nicht erst in der Gegenwart in Frage gestellt8 9). Bei ihrer Verteidigung haben die Fachhistoriker oft zu einer sehr engen Begrenzung ihres Gegenstandes Zuflucht genommen °). Auch wurde zur Stützung des Wissenschaftscharakters auf die Art der Fragestellung hingewiesen, die ein gezieltes Suchen und Forschen bedingt und zufällige Funde ausschließt. Dem dürfte vielfach die Praxis wider­sprechen. Dennoch konnte schon Schopenhauer mit gewichtigen Gründen darlegen, daß Geschichte Wissen aber nicht Wissenschaft sei. Aber noch mehr problematisch wird der Wissenschaftscharakter der Geschichte in unserer von Technik und Naturwissenschaften beherrschten Gegenwart, die oft genug selbst auf diesen Gebieten die Grundlagenfor­schung vernachlässigt. Die zunehmende Spezialisierung auch der Ge­3) Josef Strzygowski Die Krisis der Geisteswissenschaften (Wien 1923) 107 ff. 4) Reinhart Kosteileck Wozu noch Historie? in HZ 212 (1971) 1 ff. 5) Mircea Eliade Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wieder­kehr (Hamburg 1966). 6) Peter Meinhold Geschichte der kirchlichen Historiographie 1 (Freiburg 1967) 15. 7) Walther L a m m e r s Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter (Darmstadt 1965). 8) Vgl. Günther Rehak Ist Geschichte eine Wissenschaft? in Die Zukunft 1971 Heft 7, 18 ff. 9) Theodor S c h i e d e r Geschichte als Wissenschaft (München 1965) 13 ff und 33 ff.

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