Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky
DIRNBERGER, Franz: Paul Kornfelds Tragödie „Himmel und Hölle“ als Opfer der Zensur
432 Franz Dirnberger Aufführungen mit Protesten vieler in ihrem sittlichen Empfinden verletzter Zuschauer zu rechnen, die bei der heutigen leichten Erregbarkeit weiter Kreise des Publikums und der Neigung, solche Proteste in aktiver Betätigung zum Ausdruck zu bringen, zu Kundgebungen ausarten müßten, die eine Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung bedeuten würden. Die Untersagung der Aufführung dieses Bühnenwerkes im Sinne des Antrages der Polizeidirektion erscheint daher begründet.“ In diesen Worten spiegelt sich zweifelsohne eine gewisse Unsicherheit wider, die der Bedeutung des Dramas in bescheidenem Ausmaß Rechnung trägt. Andererseits sind nur allzu deutlich Wendungen erkennbar, die Wildgans in seinem Briefe an Bundeskanzler Schober gebraucht hatte. Es muß aber rühmend erwähnt werden, daß der Inhalt des Antrages der Polizeidirektion kaum Beachtung oder Verwertung gefunden hat. Dieser trägt den Stempel einer absoluten Negation, wie sie die Direktion des Burgtheaters gewünscht hatte, was auch, wie bereits angeführt37), in der Einleitung zum Ausdruck gebracht wurde. Auf die Worte „Losgelöst von allem rhetorischen und dialektischen Beiwerk reduziert sich der rein stoffliche Gehalt des Stückes“ und die auf fünf Sätze beschränkte Inhaltsangabe folgt ein sehr merkwürdiges Urteil: „Diese schon an sich ganz unmögliche Handlung wird von einer von Zoten und Zynismen gröbster Art strotzenden Diktion begleitet, welche zwischen pathetischem Schwulst und plattester Banalität hin und her schwankt und literarisch oder künstlerisch kaum mehr ernst genommen werden kann, sondern wohl schon mehr vom pathologischen Standpunkt zu werten ist. Abgesehen von dem anstößigen, jedem moralischen Empfinden hohnsprechenden Inhalt, würde aller Voraussicht nach das Theater bei der Aufführung dieses Stückes zum Schauplatz ärgster Tumultszenen werden, da sich kaum ein größeres Publikum denken läßt, das eine derartige dramatische Darbietung nicht entrüstet zurückweisen würde.“ ... Daher werde der Antrag auf Aufführungsverbot gestellt. Es ist nur gut, daß dieser Akt weder Bahr noch sonst der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Nur der offizielle Erlaß erschien am 6. April ohne besonderen Komentar in der Allgemeinen Wiener Zeitung. Wie bereits angekündigt, entschloß sich der Verlag Rowohlt zu einem Rechtsverfahren gegen das Burgtheater. Am 27. April 1922 reichte der Berliner Rechtsanwalt Dr. Rosenberger beim Bühnenschiedsgericht in Wien die Klageschrift ein. Das Klagebegehren verweist auf die ausdrückliche Aufführungsverpflichtung des Burgtheaters bis zum festgelegten Termin (15. Jänner 1922). Die beklagte Bühnenleitung habe es unterlassen, den eigentlichen Zensurerlaß des Innenministeriums zur Kenntnis zu bringen, „um im Interesse des Autors eine Rückgängigmachung des Zensurverbotes zu erlangen... In Wirklichkeit muß die Klägerin im Einverständnis mit dem Autor behaupten, daß der beklagten Bühnenleitung gar nicht daran lag, das 37) Siehe oben S. 425.