Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

OESTREICH, Gerhard: Zur parlamentarischen Arbeitsweise der deutschen Reichstage unter Karl V. (1519–1556). Kuriensystem und Ausschußbildung

220 Gerhard Oestreich permanenten, aber stark ausgebauten parlamentarischen Ausschußwesens in der Reformperiode der Reichsverfassung nach 1495 wird geradezu ver­hindert. Jedoch hat die Art der interständischen Bildung der Ausschüsse sowie die gleichberechtigte Beratung und Abstimmung in den Aus­schüssen durch Personen verschiedener ständischer Zugehörigkeit die Starrheit des ständischen Prinzips der Trennung in die beschlußfassen­den Gremien der drei Stände teilweise aufgehoben und durch modernere parlamentarische Arbeitsformen das mit Recht als sehr schwerfällig be- zeichnete Geschäftsverfahren der Reichsversammlung erleichtert. Dessen Struktur ist in groben Umrissen bekannt und wird hier, ohne auf die oftmals charakteristischen Einzelheiten näher einzugehen, gleichsam ver­kürzt dargestellt8). I Am Ende des 15. Jahrhunderts war durch den Reformkanzler Berthold von Henneberg die Reichstagsverfassung wesentlich verfestigt worden. Da­durch war dafür gesorgt, daß der Kaiser nun nicht mehr nach freier Will­kür bestimmte Reichsstände einlud oder nicht einlud, sondern daß die als reichsunmittelbar geltenden Stände sämtlich eingeladen werden mußten. Henneberg hatte die Geheimhaltung der Beratungen, nicht zu­letzt gegenüber dem Kaiser, durchgesetzt, um die Freiheit des einzelnen Reichsstandes besser zu wahren, und er hatte insbesondere die Beratungs- * 91 8) Die kurzen Angaben über die Reichstagsorganisation der Neuzeit in den Hand- und Lehrbüchern der Verfassungs- und Rechtsgeschichte berücksichtigen die innere Entwicklung kaum. Zumeist werden die durch die staatsrechtlichen Darstellungen des 18. Jahrhunderts vermittelten Zustände ihrer Zeit auch für die früheren Zeiten angenommen. Die parlamentarische Arbeitsweise der Reichstage in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts wird künftig in einer Mar- burger Dissertation über den Reichstag jener Zeit von Helmut N e u h a u s untersucht. Eine Hamburger Staatsexamensarbeit für das Lehramt an Gym­nasien von Christa Blönigen Die Organisation der Reichstagsarbeit unter Karl V. (1965) weist mit Recht auf die Unsicherheiten und Schwankungen des Gewohnheitsrechts hin. Sie sollen in dieser Skizze nicht behandelt werden. Daß „die Geschichte der Reichstagsorganisation noch weithin im Dunkeln liegt“, vermerkt auch F. Wolff bei seinen Ausführungen zur Protokollführung auf den Reichstagen: Acta Pacis Westphalicae Serie III Abt. A Protokolle 4: Die Beratungen der katholischen Stände 1: 1645—1647, bearb. von Fritz Wolff unter Mitwirkung von Hildburg Schmidt-von Essen (Münster 1970) XXXV. Schilderung der Reichstagsverhandlungen bei Hermann Conrad Deutsche Rechtsgeschichte 2: Neuzeit bis 1806 (Karlsruhe 1966) 88—101. Dort 91 beschreibt Conrad die Ausschüsse als Reichs-Deputations-Konvente, d. h. or­dentliche Deputationen zwischen den Reichstagen oder außerordentliche Deputa­tionen, die außerhalb der Reichstage oder auch „während des Reichstages mit der Vorbereitung und Untersuchung von Angelegenheiten beschäftigt wurden, die später dem gesamten Reichstag zur Beratschlagung und Beschlußfas­sung vorgelegt werden sollten“. Allein diese letzteren Ausschüsse im heutigen parlamentarischen Verständnis sollen im Folgenden genauer bestimmt werden.

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