Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

OESTREICH, Gerhard: Zur parlamentarischen Arbeitsweise der deutschen Reichstage unter Karl V. (1519–1556). Kuriensystem und Ausschußbildung

218 Gerhard Oestreich die Reichstage der Reichsreform ein Echo gefunden haben. Die im Zei­chen des modernen Parlamentarismus angelegte, vor gut hundert Jahren begonnene große Quellenedition der Deutschen Reichstagsakten zwischen 1376 und 1555 ist teilweise steckengeblieben und schreitet mühsam vor­wärts 3). Eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung, die vom hohen Mittel- alter bis zum Untergang des Reiches 1806 trotz mannigfacher Unter­brechungen eine bewundernswerte Kontinuität der Reichsversammlung aufweisen würde, wird noch auf Generationen ein Desiderat bleiben. Nur für wenige Reichstage der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gibt es wissenschaftlich ausreichende Monographien, die auch den formalen Ab­lauf berücksichtigen — besonders ausgezeichnet für die Versammlung von 1529 zu Speyer4). Allein für das theoretische Verständnis und Selbst­verständnis vom ausgehenden 15. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts besitzen wir seit sechs Jahren durch das Buch von Friedrich Hermann Schubert eine angemessene grundlegende Abhandlung, die die juristisch­politischen Vorstellungen über Aufgaben und Wesen der Ständetagun­gen des Reiches im Vergleich mit anderen europäischen Institutionen schildert5). Bei diesem Stand der Dinge ist es kein Wunder, daß bisher die Frage nach Geschäftsverfahren und Arbeitsweise der Reichstage unter Karl V. nicht explizite in der Forschung gestellt wurde. Gewiß, die ausgeprägte Organisation und die festen Geschäftsordnungen der Volksvertretungen des 19. und 20. Jahrhunderts darf man für ein Ständeparlament des 16. Jahrhunderts nicht erwarten. Um dies gleich vorwegzunehmen: Eine gesetzlich fixierte Geschäftsordnung für den deutschen Reichstag existier­te nicht. Es kann sich also im Folgenden nicht um eine Interpretation einer solchen und um ihren Vergleich mit der Praxis handeln. Vielmehr gilt es, aus dem in den Reichstagsakten veröffentlichten Material und land im 16. und 17. Jh. in Recueil de la Société Jean Bodin 25 (Brüssel 1965) 193—226, auch in Anciens pays et assemblées d’états (— Standen en Lan­den) 36 (Brüssel 1965). 3) Für unseren Zeitraum Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Bde 1—4, 7—8/1 (Gotha 1893 — Göttingen 1970, Nachdruck Göttingen 1962 ff) betr. die Jahre 1519—1524, 1527, 1529/30, zitiert RTA. — Zur Geschichte der Edition zur Reformationszeit siehe Herbert Grundmann Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe in Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858—1958 (Göttingen 1958) 132—157. 4) Johannes Kühn Die Geschichte des Speyrer Reichstags 1529 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 146, Leipzig 1929). Ferner Walter Frie­densburg Der Reichstag zu Speier 1526 (Histor. Untersuchungen 5, hg. von J. Jastrow, Berlin 1887). Dazu kommt jetzt Horst Rabe Reichsbund und Interim. Die Verfassungs- und Religionspolitik Karls V. und der Reichstag von Augsburg 1547/1548 (Köln—Wien 1971). 5) Friedrich Hermann Schubert Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Histor. Komm, bei der Bayer. Akad. d. Wiss. 7, Göttingen 1966).

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