Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky
APPELT, Heinrich: Die libertas affectandi des Privilegium minus
136 Heinrich Appelt auch auf die romanischen Sprachen aus. Insbesondere arbeitete er die Urkunden Friedrichs I. und Friedrichs II., jene der Babenberger und den Sprachschatz Ottos von Freising durch. Das Ergebnis war ein rein negatives; er fand nur Beispiele für „affectare aliquid“, ,nach einer Sache heftig verlangen“, was dem Sprachgebrauch antiker Autoren entspricht 4). Da er die im Minus auftretende Phrase nirgends nachzuweisen vermochte, verfiel er auf den Gedanken, an eine Lehnübersetzung aus dem Mittelgriechischen zu glauben5), und baute darauf seine geistvolle These von dem entscheidenden Einfluß byzantinischer ehe- und erbrechtlicher Anschauungen auf das Minus auf, die einen Hauptteil seines Werkes füllt. Die unendlich kenntnisreichen und in ihrer Art bewundernswerten Forschungen Heiligs sind jedoch inzwischen in ihrem philologischen Ausgangspunkt überholt durch die Belege, die im ersten Band des Mittellateinischen Wörterbuches geboten werden6). Auf diese Tatsache wurde bisher noch von niemandem aufmerksam gemacht. Demnach ist „affectatio“ als Synonym von „traditio“, „donatio“, ,Übergabe“, ,Schenkung“, belegt; das Verbum „affectare“ hat in hochmittelalterlichen Urkunden mehrfach die Bedeutung von ,überlassen“, ,vermachen“, und zwar in der gleichen Konstruktion mit dativus commodi, die sich im Minus findet. Es lohnt sich daher, die hier gebotenen Belege vom diplomatischen sowie vom rechtshistorischen Standpunkt aus zu überprüfen. In einer Urkunde des Bischofs Theoduin von Lüttich vom Jahre 1068 für die Bierbrauer von Huy heißt es: „unam coppatam sancte Marie sanctoque Domitiano affectavi“7). Dieselbe Ausdrucksweise begegnet 1117 in einer Stiftung für S. Lambert de Liege: „duos mansos affectavi fratribus Hoiensibus“, und weiter im gleichen Text: „ad altare affectavi“ 8). In der im 12. Jahrhundert von einem Kleriker der Diözese Lüttich verfaßten Vita Meingoldi comitis finden wir folgenden Passus: „quosdam de fundis et redditibus suis affectant ad celebrandum ... divinum officium“9). Das zugehörige Substantivum „affectatio“ wird in einem Diplom Karls des Kahlen für die Kirche von Reims vom Jahre 847 10 II) 4) So ist zum Beispiel die Wendung „affectare regnum“, ,nach der Königsherrschaft streben, heftig verlangen“, bei römischen Historikern nicht selten. 5) Ebenda 133 ff. 6) Mittellateinisches Wörterbuch 1 (München 1967) Spalte 348 (affectatio), 350 (affecto). 7) Georg W a i t z Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte (Berlin 21886) 12 n. 6. 8) S. Bormans et E. Schoolmeesters Cartulaire de l’église Saint- Lambert de Liege 1 (1893) 54 n. 33. °) MGH SS 15, 562. Der Lesung „affectant“ ist sicher gegenüber „afflectant“ der Vorzug zu geben; vgl. Mittellatein. Wörterbuch 1 Sp. 363. 10) „per quorumcumque ... affectationem“: Recueil des Actes de Charles II le Chauve roi de France, terminé par Georges Tessier 1 (Paris 1943) 264 n. 99; auch bei Flodoard Historia Remensis ecclesiae (MGH SS 13, 478).