Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky
MOHR, Walter: Die Rolle Bayerns in der Komposition der Annales regni Francorum
Die Rolle Bayerns in der Komposition der Annales regni Francorum 127 nommenen Teilung zu den gefährlichen Spannungen zwischen Karl d. Gr. und seinem Bruder Karlmann geführt hatten. Diese Teilung wird von den Reichsannalen überhaupt mit Stillschweigen übergangen. Karl Martells Reichsteilung nun hatte Rechte für dessen dritten Sohn, Grifo, begründet4), die andererseits der Autor der Reichsannalen, wie wir noch näher sehen werden, aus seiner Darstellung heraushalten mußte. Demgemäß war es für ihn besser, diesen Vorgang, wenn er ihn schon nicht verschweigen konnte, als einen Akt zwischen den beiden Brüdern Karlmann und Pippin darzustellen und dabei die Existenz Grifos ganz zu übergehen. Auf diese Weise konnte die Rechtmäßigkeit des Königtums Pippins und damit auch die seines jetzt regierenden Sohnes Karl in eindeutigem Lichte erscheinen. Diese Rechtmäßigkeit baute in erster Linie auf dem Verzicht Karlmanns im Jahre 747 auf, den die Überlieferung als freiwillig hinstellte, obwohl er das offensichtlich nicht gewesen ist5); sie wurde aber nun in ihrer Geltung in Frage gestellt durch die Ansprüche Grifos, die er auch nach Pippins Königserhebung aufrecht erhielt und für die er kämpfend auf dem Wege nach dem Langobardenreich in den Alpen fiel. Indem die Reichsannalen das Bild einer regulären Familientradition von Pippin bis auf Karl d. Gr. retten wollten, das durch Grifos Auftreten gefährdet wurde, mußte dieser als ein außerhalb des Rechts Stehender erscheinen, und es wurde nur das Faktum seines Todes ohne die näheren Umstände erwähnt. Es ist aber dann beachtenswert, daß die Darstellung der Königserhebung Pippins bei den Jahren 747 und 748 unterbrochen wird durch die Schilderung der Kämpfe zwischen Pippin und Grifo in Sachsen und Bayern. Da Grifo bis dahin noch gar nicht erwähnt wurde, und da diese Episode zur Erklärung der eigentlichen Entwicklung des karolingischen Hauses nicht nötig ist und auch nicht mit dem vorhergehenden und dem nachfolgenden Text organisch verbunden erscheint, wobei noch nicht einmal angegeben wird, wer Grifo war und welche Ziele er verfolgte, ist also hier ein Anhaltspunkt zu erkennen, daß diese Episode in den achtziger Jahren irgendwie eine besondere Aktualität besaß. Diese läßt sich daran erkennen, daß der Autor zum Jahre 748 auch die Verbindung der Geschichte Tassilos von Bayern mit der Grifos erwähnt, was aus der Sicht einer ganzen Reihe von Faktoren verstanden werden muß. 4) Zur Lage Grifos im einzelnen vgl. Hanns Leo Mikoletzky Karl Mar- tell und Grifo in Festschrift für Edmund E. Stengel (Münster-Köln 1952) 147 ff. •—■ Der Vollständigkeit halber sei auf die mir erst nachträglich zugänglich gewordene Diss. von Irene Haselbach über die Metzer Annalen (Historische Studien 412, Lübeck-Hamburg 1970) verwiesen, mit ihrer mitunter naiven Quelleninterpretation und der ebenso naiven Ansicht, nach ihrer Arbeit seien neue Gesichtspunkte nicht mehr möglich (Vorwort). 5) Vgl. Mohr Fränkische Kirche 33 f.