Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

SCHMID, Georg E.: Die Coolidge-Mission in Österreich 1919. Zur Österreichpolitik der USA während der Pariser Friedenskonferenz

438 Georg E. Schmid Briefs von House auf eine Mission nach Stockholm und Archangelsk 10 * * * * * *). Dieses plötzliche Ausscheiden aus der Inquiry, war es auch quasi nur de facto und nicht de iure geschehen, wirkt auffällig, zumal eine definitive Angabe von Gründen sich in den gedruckten Quellen nicht findet; es wäre möglich, daß man Coolidge abschieben wollte, eine Vermutung, die sich eventuell auf die Tatsache stützen könnte, daß Coolidges wissen­schaftliche Qualifikation nicht einhellig beurteilt worden zu sein scheint17). Möglicherweise handelte es sich um eine persönliche Unbe­liebtheit Coolidges unter seinen Kollegen in der Inquiry; allein durch die Tatsache, daß er Junggeselle war, fiel er aus dem Rahmen, der gerade in dieser Beziehung und dieser sozialen Schichte von der amerikanischen Gesellschaft sehr eng gezogen wird 18). Als jedenfalls Coolidge im Oktober 1918 von seiner Archangelsk- Mission zurückgekehrt war, hatte sich die Situation gegenüber der Lage bei seiner Abreise weitgehend geändert; nun dominierte die Friedens­konferenz, von der man vor seiner Abreise angenommen hatte, sie läge noch in weiter Ferne. Wieder scheint Coolidge zur Seite geschoben worden zu sein. Die sieben Wochen, die er vor seinem Abgang nach Wien noch in den USA verbrachte, wurde er nicht wieder in den Stab der Inquiry aufgenommen, die allerdings andererseits sich zu diesem Zeit­punkt bereits in einem historisch nur schwer faßbaren Transformations­stadium zur American Commission to Negotiate Peace befand. Trotzdem ist in diesem Zusammenhang von Interesse, daß sich fast die ganze Inquiry aus jener pseudo-aristokratischen und überaus traditions-, fami- lien- und selbstbewußten Schicht von Universitätsprofessoren zusammen­setzte, die sich nahezu allesamt schon vor ihrer Zusammenarbeit in der Inquiry gut gekannt hatten. Nahezu ausschließlich hatten sie in Yale oder Princeton studiert und ein deutlich elitär anmutendes Standes- und Cli­quenbewußtsein entwickelt; vielfach waren ihre Vorfahren schon Profes­soren und Präsidenten der erwähnten Universitäten gewesen, ebenso wie sie es getreu der nun einmal existierenden Tradition später auch selber wurden. Obwohl auch Coolidges Herkunft und Tätigkeit — Professor in Harvard — sich auf den ersten Blick von jener der Inquiry-Männer kaum 16) Brief von Edward M. House an Coolidge, 1918 März 10. Darin wurde Coolidge auch versichert, daß er dadurch nicht benachteiligt würde, seine Teil­nahme an der Friedenskonferenz wäre nach wie vor gesichert, diese jedoch noch in weiter Ferne: Coolidge Life and Letters 193. 17) Hiezu D. P e r m a n The Shaping of the Czechoslovak State. Diplo­matic History of the Boundaries of Czechoslovakia, 1914—1920 (Studien zur Ge­schichte Osteuropas 7, Leiden 1962) 142 Anm. 92. Hier der Hinweis auf Stephen Bonsai Unfinished Business (New York 1944) 90 und 119. 18) Soweit man aus den Briefen Coolidges schließen kann, scheint der da­mals etwa 55jährige übrigens eine sehr enge Bindung an seine Mutter gehabt zu haben, die Briefe jedenfalls, die er von Wien aus absandte, waren fast aus­schließlich an seine Mutter adressiert: Coolidge Life and Letters passim.

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