Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

SCHMID, Georg E.: Die Coolidge-Mission in Österreich 1919. Zur Österreichpolitik der USA während der Pariser Friedenskonferenz

Die Coolidge-Mission in Österreich 1919 439 unterscheidet, hatte er offensichtlich doch niemals den richtigen Kontakt mit Inquiry oder Commission to Negotiate Peace gefunden; zu sehr mag er in Auffassungen und Lebensstil außerhalb der traditionellen Richtli­nien jener amerikanischen Gesellschaftsschicht mit ihren klar festgelegten sozialen Dogmen gestanden sein. Doch wenn dies auf Coolidge auch zugetroffen haben dürfte, so war doch der Bedarf an Fachleuten mit Erfahrung — und die Qualifikationen Coolidges gerade im Hinblick auf seine Kenntnisse über Mitteleuropa dürfen keineswegs unterschätzt werden — zu groß, als daß man hätte auf ihn verzichten können und wollen. So erhielt er also am 16. Novem­ber 1918 eine neue Aufgabe — „vague as to the sphere and nature of his duties“ 10). Er sollte als „Special Assistant to the Department of State, with station in Washington, with instructions to proceed to Eastern Europe to investigate and report upon conditions there“ Verwendung fin­den * 20). Die US-Botschafter in Paris und Rom, sowie die diplomatischen und konsularischen Beamten in Mittel- und Osteuropa erhielten dies­bezügliche Informationen, die jedoch in ihrem Ton ebenso vage waren 21). Am 25. November 1918 reiste Coolidge dann nach Europa ab, wo ihm schließlich gegen Ende Dezember die Aufgabe zuteil wurde, eine Mission in Österreich zu leiten. Inzwischen war es klar geworden, daß es sich noch vor der Konferenz als zweckmäßig erweisen würde, Kontakte eher inoffizieller Natur auf­zunehmen, die jedenfalls außerhalb des Rahmens der eigentlichen Kon­ferenz stehen sollten und als neuerliche Fühlungnahme unter veränderten Vorzeichen angesichts einer neuen Situation aufgefaßt wurden. Diploma­tisch gesehen war die Lage heikel, da Kontakte wohl erwünscht waren, aber höchstens quasi-diplomatisch sein sollten. Unverbindlichkeit mußte oberstes Gebot sein, da die Entscheidungen der Konferenz keinesfalls präjudiziert werden durften. Coolidge war sich dieses seltsamen Zustands wohl bewußt; die Mission, deren Leitung ihm anvertraut wurde, war einerseits offiziös, zum anderen aber keine effektiv diplomatische. Formal waren die USA im Kriegszustand mit Österreich-Ungarn, manche neue Regierung, mancher Nationalausschuß am Boden der zugrundege­gangenen Monarchie war anerkannt worden, andere wiederum nicht22). In der Folge wurden die Kompetenzen der Mission nie exakt abgegrenzt und Umrissen, wenngleich man immerhin so viel erkennen kann, daß sich Coolidge später eine — wie er selbst erkannte — eindeutige Kompetenz­übertretung zuschulden kommen ließ. i») Ebenda 195. 20) Ebenda. 21) Ebenda. 22) Diese Betrachtungen stammen aus einem Brief Coolidges an seine Mut­ter: Coolidge Life and Letters 195.

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