Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)
MIKOLETZKY, Lorenz: Der Versuch einer Steuer- und Urbarialregulierung unter Kaiser Joseph II
312 Lorenz Mikoletzky Türe harrt, „wohlerzogen auch und fein, sieh, es fleht ganz artig: Dürft ich wohl so frei sein, frei zu sein“ 3)? Woraus erwuchs nun der Gedanke, die Idee, die Kaiser Joseph II. am 24. November 1783 dem Grafen Kolowrat unter anderem schreiben ließ: „Ein klarer, und richtiger Steuerfuß ist ganz gewiß das größte Glück eines Landes, durch diesen allein erhält man das eigentliche Mittel, den wahren Bedarf des Staats auf die billigste, und wohlfeilste Art zu sammeln, und alles übrige Gute im Lande zu stiften. Der Grund, und Boden, den die Natur zu des Menschen Unterhalt angewiesen hat, ist die einzige Quelle, aus welcher alles kommt, und wohin alles zurückfließt, und dessen Existenz, trotz allen Zeitläuften, beständig verbleibt“ 4)? Und weiter heißt es dann: „Ist es nicht ein unsinniges Vorurtheil zu glauben, daß die Obrigkeiten das Land als ein Eigenthum besassen, bevor noch Unter- thanen waren, und daß sie das Ihrige unter gewissen Bedingungen an die Letzteren abgegeben haben? Müßten sie nicht auf der Stelle vor Hunger davonlaufen, wenn Niemand den Grund bearbeitete? Eben so absurd wäre es, wenn sich ein Landesfürst einbildete: das Land gehöre ihm, und nicht er dem Lande! Millionen Menschen seyen für ihn, und nicht er für sie gemacht, um ihnen zu dienen“ 5). War der Gedanke einer Reform ein plötzlicher, stammte er von Joseph? Nein. Das ganze 18. Jahrhundert stand im Zeichen der Versuche, die naturrechtlichen Lehren in die Tat umzusetzen. Die Werke, die damals erschienen, klärten den Monarchen auf, wie er zu regieren habe, und sagten ihm, was er falsch gemacht hatte; so heißt es in dem Buch: De iure naturae et gentium des Natur- und Völkerrechtslehrers Samuel Freiherr von Pufendorf (1632—1694): „Der Monarch darf die Bürger nur zu dem zwingen, was zum Nutzen der Allgemeinheit nötig. Zu Dingen, die dem Heile des Staates oder dem natürlichen Rechte widersprechen, darf der Monarch nicht einmal denken, seine Bürger zu verhalten. Tut er es, so überschreitet er die Schranken seiner Gewalt“ 6). Das Recht der Menschen auf Freiheit, das 1789 in der Französischen Revolution Europa mit dem Rufe „Liberté“ erschüttern sollte, wurde schon früher gefordert. Der Kaiser beschäftigte sich viel mit solchen Schriften, aus dem Wunsche heraus, ein guter Herrscher zu sein. Aber schon seine Mutter, Maria Theresia, hatte gleich in den ersten Jahren nach dem Aachener Frieden (1748) in den gesamten „Teutschen Provinzen des Oesterreichischen Hauses“ ein sogenanntes Urbárium auf3) Anastasius Grün Gesammelte Werke 2 (Berlin 1877) 327 f. 4) Hofkammerarchiv Wien (HKA) Allerhöchste Resolutionen über Gegenstände, die das Steuer-Regulirungs-Geschäft in den deutschen Provinzen betreffen (Sammlung der Handschriften, Signatur 275, früher D 252) fol. 3. 5) HKA Hs. 275 fol. 4. 6) Hans Voltelini Die naturrechtlichen Lehren und Reformen des 18. Jahrhunderts in HZ 105 (1910) 79 f.