Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 307 anbelangt, muß man feststellen, daß zumindest in der Frühzeit des „Jo­sephinismus“ die Initiative dazu ebenso sehr von hochgestellten kirch­lichen Kreisen wie vom Staat ausging, ja dieser eigentlich erst sekundär durch jene in kirchliche Angelegenheiten hineingezogen wurde 114 * * *). Be­günstigt wurde dieser Vorgang zweifellos durch die parallelen Interessen. Daß man die Geister, die man da gerufen hatte, nicht mehr so einfach wieder los wurde, zeigte sich dann erst ein knappes Jahrzehnt später, als das bis dahin gewahrte Gleichgewicht in der Machtverteilung von Kirche und Staat sich zugunsten des letzteren verschob und die Staats- omnipotenz die Kirche zu überwältigen begannU5). Aber auch diesmal war der Anstoß zu den Änderungen, die schließlich zum josephinischen Staatskirchentum führten, nicht vom Staat, sondern von der Kirche aus­gegangen, freilich unter umgekehrtem Vorzeichen. Hatte noch zu Beginn von Migazzis Wirken in Wien, unter dem Pontifikat des aufgeklärten und konzilianten Benedikt XIV., die Aussicht bestanden, die überfällig gewordene Reform der barocken Kirche — daß eine solche Reform von­nöten war, erkannten auch römische Kreise — im Einvernehmen von Kirche und Staat durchzuführen, so wurden diese Hoffnungen unter seinem Nachfolger Klemens XIII. gründlich zerstört. Die Politik des den Jesuiten ergebenen Papstes und seines reaktionären Kardinalstaatssekre­tärs Torri giani war, wenngleich rechtlich wohlbegründet, doch aus tak­tischen Erwägungen eine unglückliche; sie forderte die katholischen Höfe zu übersteigerten antikurialen und antijesuitischen Reaktionen förmlich heraus und erreichte gerade das Gegenteil des Angestrebten. Zu den Reaktionen auf die Politik des Papstes gehört nicht zuletzt die nun systematisch erfolgte Ausbildung des theresianisch-josephinischen Staats- kirchentums 118). 114) „... muß ... auf das immerhin landläufige Mißverständnis hingewiesen werden, als sei der Josephinismus eine Erfindung von Laien gewesen. Er ist nicht außerhalb der Kirche entstanden, sondern in ihrer Mitte, nicht von ihren Gegnern, sondern von ihren eigenen Anhängern, nicht von Staatsmännern, sondern von Theologen entworfen. Theologen haben für die vielgestaltigen Neuerungen sich eingesetzt und für deren Einführung die Fürsten und deren Berater gewonnen“: Louis J. Rogier in Geschichte der Kirche 4: Die Kirche im Zeitalter der Aufklärung, Revolution und Restauration (Einsiedeln 1966) 118. ns) Anhänger des „Josephinismus“ aus dem geistlichen Stand, welche die ganze Entwicklung miterlebt hatten, wie Wittola, waren sich dabei darüber im klaren, daß diese Gewichtsverschiebung nicht zuletzt wegen der passiven Hal­tung und der Renitenz kirchlicher Stellen erfolgt war: „Joseph macht das, was Bischöfe machen könnten, schon seit vierhundert Jahren, was alle aufgeklärten Liebhaber der katholischen Kirche gewünscht haben“. Wienerische Kirchen­zeitung 1 (1784) 19. ii«) Das belegen m. E. unbeabsichtigt gerade die von M a a s s (Josephinis­mus 1) in diesem Zusammenhang gesammelten Dokumente. Vgl. etwa die Be­merkungen Kaunitz’ über die Veränderungen seit dem Pontifikat Klemens’ XIII. in seinem Vortrag über die Bedeutung der Exkommunikation des Herzogs von 20*

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