Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

308 Peter Hersche In diesem Rahmen muß nun auch Migazzis Wandlung vom aufgeklär­ten Reformkatholizismus zum Ultramontanismus gesehen werden. Welche Motive bei seiner „Bekehrung“ ausschlaggebend waren, läßt sich noch nicht mit letzter Sicherheit sagenm). Eine gewisse Traditionsgebundenheit, Prunksucht und Habgier waren sicher daran nicht unbeteiligt. Anderer­seits mag der Kardinal vorausgeahnt haben, wohin eine ungehemmte Aufklärung schließlich führen mußte, und ihn so echte Sorge um die Zukunft der Kirche bewogen haben, wiederum eine konservativere Hal­tung einzunehmen — ähnlich wie später selbst Kaiser Joseph II. und viele Jansenisten, darunter auch Blarer und Wittola. Vor allem aber konnte sich Migazzi die notwendige Kirchenreform ohne Mitwirkung Roms nicht vorstellen. Die Erfahrungen, die er in seiner Studienzeit und noch später im aufgeklärten Rom der Päpste Klemens XII. und Bene­dikt XIV. gesammelt hatte, ließen ihn eine solche vom Episkopat im Zusammenwirken mit Rom durchzuführende Reform zunächst möglich erscheinen. Der aussichtsreiche Versuch, sie durchzuführen, scheiterte dann an der Politik des intransigenten Klemens XIII. Sie mußte Migazzi auf eine Bahn führen, die er aus eigenem Willen gar nicht hatte ein- schlagen wollen. Nachdem 1763/64 erste wichtige Vorentscheidungen ge­fallen waren, bremste der Erzbischof seine Reformpolitik, suchte aber, schon immer zwischen Barockkatholizismus und entschiedener Aufklä­rung schwankend, noch eine Zeitlang, soweit es eben ging, eine Mit­telhaltung einzunehmen. Als nun aber 1767/68 endgültig die Weichen zur staatlichen Reform der Kirche, notfalls auch gegen den Willen ihres höchsten Repräsentanten, gestellt wurden, mußte sich Migazzi entschei­den, und er fühlte sich verpflichtet, seine Anschauungen auf dem Altar Parma (ebd. 268). An diesem Sachverhalt ändert auch die Feststellung nichts, daß das theresianisch-josephinische Staatskirchentum schließlich in seinen Aus­wirkungen weit über die Streitfragen, die seine Entstehung veranlaßten, hin­ausgriff. Prozesse solcher Art pflegen, einmal in Gang gesetzt, ihre Eigengesetz­lichkeit zu entwickeln, die sich nicht mehr um die ursprünglich auslösenden Kcnfliktsmomente kümmert. uz) Mit den Zeitgenossen möchten wir gegen Klingenstein, die nur einen „angeblichen Wandel“ konstatieren kann (Staatsverwaltung und kirchliche Autorität 119 und 122), doch daran festhalten, daß Migazzi seine Auffassungen nach 1767 tatsächlich grundlegend geändert hat — allerdings zugegebenermaßen erst unter dem Zwang der Verhältnisse. Man vergleiche die hier angeführten Zeugnisse von Migazzis reformerischer Aktivität in seinen ersten Wiener Jahren mit der Schilderung seines Kampfes gegen den „Josephinismus“, die Wolfs- g r u b e r und die auf de Terme und Wittola zurückgehenden Berichte in den Nouvelles Ecclésiastiques geben. Am deutlichsten zeigt sich Migazzis grund­sätzlicher Gesinnungswandel in seiner Haltung zum Priesterseminar. Dieses Faktum kann auch durch die ganz vereinzelten späteren Zeugnisse einer re­formfreundlichen Haltung, etwa dem Nachdruck des Trautsonschen Hirten­briefs, nicht widerlegt werden. Relativ unverändert scheinen nur Migazzis kirchenrechtliche Ansichten geblieben zu sein, doch sind wir für seine Früh­zeit darüber schlecht orientiert.

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