Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)
HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien
302 Peter Hersche und andere seiner Feinde besucht zu haben, er klagte sie an, den Alumnen die Provinzialbriefe, die Werke von Arnauld, die Moraltheologien von Concina und Genet und andere der jesuitischen Doktrin entgegengesetzte Bücher zum Lesen gegeben und überhaupt einen Widerwillen gegen die Jesuiten und ihre Lehre gezeigt zu haben. Mit einem Wort, sie seien Schlangen, die er am Busen genährt habe. Die Domherren de Terme, Simen und Graf Henkell verteidigten die Angegriffenen tapfer, doch waren die übrigen sieben Mitglieder des Konsistoriums den Jesuiten ergeben und der Ausgang der Verhandlungen somit klar vorauszusehen. Einige der Alumnen hatten nach dem Abschluß ihrer Studien weiter als Lehrer am Seminar gewirkt, sie verließen es nunmehr. Nur die Lehrer, die schon von Anfang an dabei gewesen waren, konnten sich nicht entschließen, ihre Schützlinge allein zu lassen, und harrten trotz den ungünstigen Umständen noch eine Weile aus, nahmen aber z. T. neben ihrer Tätigkeit am Seminar noch andere Stellen an. Doch Migazzi ruhte nicht, bis er auch diese Fremdkörper weggeschafft hatte. 1775 ergab sich die Gelegenheit, den Vorsteher Georg Mayer abzusetzen; sein Nachfolger wurde der Exjesuit P. Dissent. Das war das Signal zum Aufbruch auch für die noch verbliebenen Lehrer; sie verließen das Seminar einer nach dem andern, freiwillig oder unfreiwillig, einzig Ruschitzka harrte noch aus. Die freigewordenen Stellen wurden mit Exjesuiten und Jesuitenschülern besetzt. Damit hatte der Kardinal nach zähem Kampf sein Ziel erreicht, die letzten Erinnerungen an den Geist, den er einst selbst mitbegründet hatte, zu tilgen. Es war ein Scheinsieg, Migazzis Maßnahmen trugen gerade dazu bei, den Jansenismus in Österreich noch weiter zu verbreiten. In Brünn und Laibach waren neue jansenistische Seminarien entstanden, in beiden lehrten ehemalige Alumnen des Wiener Seminars. Andere Seminarlehrer folgten den Jesuiten im akademischen Lehramt an der Wiener Universität. Die Ordensangehörigen hatten ja ihre Lehrkanzeln an der Theologischen Fakultät bei der Aufhebung des Ordens verloren — hier trat somit gerade die umgekehrte Entwicklung wie am Seminar ein. Nur wenige der begabten jansenistischen Seminaristen mußten sich mit untergeordneten Stellen begnügen; sie suchten dann meistens durch Übersetzen jansenistischer Literatur aus dem Französischen diese Ideen weiter zu verbreiten. Natürlich wurden nicht nur die Lehrer am Alumnat ausgewechselt, sondern auch die Bücher, und wie früher Migazzi jansenistische Werke empfohlen hatte, so schrieb er jetzt den Alumnen andere vor. Hier befolgte er allerdings keine streng reaktionäre Linie und suchte, soweit es ging, zwischen jansenistisch und jesuitisch geprägter Literatur einen Mittelweg zu finden98). Aber in einer Instruktion befahl er dem Vor»8) Von den früher schon verwendeten Büchern blieben ausgewählte