Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 291 Theologie nicht mehr im Jesuitenkolleg, sondern an der Universität. Dort herrschten zwar vorderhand auch noch die Jesuiten, doch konnten die angehenden Priester immerhin das wichtige Fach der Dogmatik schon ein Jahr später bei den neuen Professoren der augustinischen und thomisti- schen Theologie hören4!l). Mit der Errichtung des Priesterseminars war der Monopolanspruch der Gesellschaft Jesu auf die Ausbildung der Kle­riker gebrochen, selbstverständlich reagierte die Sozietät empfindlich auf diesen Schlag. Ihre Intrigen gegen Migazzi und ihre Verleumdungen der Neugründung nahmen kein Ende, sodaß sich der Erzbischof sogar beim Papst darüber beschwerte. Eines der größten Probleme für den reformeifrigen Oberhirten war, unter einem praktisch vollständig von den Jesuiten gebildeten Klerus Männer zu finden, welche die Alumnen im Seminar in der „gesunden Doktrin“ betreuen und so den an der Universität fortdauernden Einfluß der Sozietät paralysieren konnten. Nach längerem Suchen fand Migazzi in Melchior Blarer seinen ersten Seminardirektor. Blarer, 1729 in Schmerikon am Zürchersee geboren, hatte an dem von Jesuiten geleiteten Collegium Helveticum in Mailand sieben Jahre lang studiert50). Nachdem er in seiner Heimat die Priesterweihe erhalten hatte, ging er nach Wien und wurde dort von Stock zur „Wahrheit“, d. h. zum Jansenismus, geführt. Blarer im Seminar beigegeben wurden die Weltpriester Patrizius Fast und Franz Steininger, die später wie Migazzi wieder vom Jansenismus abrückten, sowie drei von auswärts berufene Lazaristen. Leider aber dauerte die zunächst sehr ersprießliche Zusammenarbeit Blarers mit Migazzi nicht sehr lange; schon zwei Jahre später bat der Direktor um Entlassung. Als Grund gab er an, er fühle sich dem Amte sowohl in wissenschaftlicher als auch in charakterlicher Hinsicht nicht gewachsen, was wohl kaum zutraf — Blarer war ständig von Schuldgefühlen ge­plagt und stellte unmenschliche Forderungen an sich selbst51). Nach anderen Quellen sollen Differenzen Blarers mit den übrigen Lehrern, ja Mißhelligkeiten mit dem Erzbischof selbst, dem der Schweizer vielleicht schon damals zu radikal war, die Ursachen des Rücktritts gewesen sein 52). Der Entlassene blieb noch einige Zeit in Wien und verkehrte weiterhin mit den Alumnen, neuer Direktor wurde Patrizius Fast. Aber auch mit diesem kam der Erzbischof nicht zurecht, er wurde wiederum zwei Jahre später (1762) ebenfalls seines Amtes entsetzt und blieb nur noch einige Zeit als Lehrer, gleichzeitig wurden auch die Lazaristen entlassen. In­zwischen aber hatten bereits die ältesten Zöglinge ihre Studien beendet, 49) Nouvelles Ecclésiastiques 38 (1765) 126. so) Melchior Blarer Vertheidigung seiner Verantwortung: warum er seit seiner Anwesenheit in Wien nicht Mess las (Wien 1783) 4 ff. si) Ebenda 7. 52) Ersteres nimmt der Bericht der Staatsanzeigen an, letzteres derjenige der Nouvelles Ecclésiastiques. 19*

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