Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

292 Peter Hersche sodaß Migazzi die neuen Lehrer aus ihren Reihen wählen konnte. Der älteste von ihnen, Georg Mayer, wurde 1763 neuer Vorsteher, später dazu noch Ökonom. Als Spiritual trat ihm wenige Zeit nachher Anton Ruschitzka an die Seite, er lehrte auch Homiletik. Studienpräfekt und Korrepetitor der Dogmatik wurde Ferdinand Stöger; Franz Hoffmann wirkte als Korrepetitor der Moral- und Pastoraltheologie, Michael Dom­fort als solcher der Philosophie (Ethik). Alle fünf waren bei der Grün­dung oder nur ein Jahr darauf in das Seminar eingetreten. „Ces quatre (der Berichterstatter vergißt Domfort) jeunes Prétres ay ant appris de M. de Stock, de M. Blarer et de l’Archévéque lui-méme ä connoitre le prix des livres théologiques de Port-Royal, les lisoient continuellement et en inspiroient le goűt á leurs éléves“ 53 54). Auf die richtige Lektüre legte Migazzi in der Tat großen Wert. Schon Blarer hatte, wohl auf Weisung seines Vorgesetzten, den Französischunterricht im Seminar eingeführt, damit die Alumnen die ja meist in dieser Sprache geschriebenen „guten Bücher“ auch lesen konnten. Es heißt, daß alljährlich ganze Kisten mit Büchern von Arnauld, de Sacy, Nicole, Fleury, Racine, Pascal, Duguet und Mésenguy, die Stock und Gazzaniga in Frankreich bestellt hätten, angekommen seien ä4). Migazzi widmete seiner hoffnungsvollen Gründung die größte Aufmerksamkeit. Er unterstützte die Lehrer, wo er konnte, nahm häufig persönlich an Übungen teil und zeichnete die besten Schüler mit lobenden Worten und Geschenken aus. Der Fleiß einiger Alumnen ging so weit, daß sich ihre Vorgesetzten Sorgen um ihre Gesundheit machten. Den Musterseelsorgern, die nach Beendigung des sechsjährigen Kurses das Seminar verließen, verschaffte der Erzbischof die besten Stel­len, insbesondere besetzte er freigewordene Posten an der Domkirche nur mit ehemaligen Alumnen. „Der Kur“, sagte der Erzbischof, „will ich durch Euch eine andere Gestalt geben: diese will ich als ein Muster auf stellen, nach welchem sich die übrigen in der Seelsorge befindlichen Geistlichen zu richten haben werden“ Ma). Somit zeigen die reformerischen Maßnahmen, die Migazzi in den An­fängen seiner Regierung in Wien ergriff, in erster Linie das Priester­seminar, aber auch die Neuordnung des theologischen Studiums an der Universität, bei der Migazzi maßgeblich beteiligt war, sowie die „Be­kehrung“ und Förderung talentierter junger Priester, die Stellungnah­men gegen den Probabilismus und die Bemühungen, „gute Bücher“ zu verbreiten, daß der Erzbischof nicht nur zur Reihe der damals in öster­53) Nouvelles Ecclésiastiques 56 (1783) 129. 54) Diese Angabe des Berichterstatters der Staatsanzeigen ist sicher über­trieben; vielleicht hat er an das Seminar in Brünn gedacht, das tatsächlich jansenistische Literatur in rauhen Mengen zugesandt bekam. Der großangelegte, von Graf Dupac de Bellegarde organisierte Export jansenistischer Literatur nach Österreich setzte erst zwischen 1765 und 1767 ein. 54a) Schlözer Staatsanzeigen 2, Heft 5 (1782) 22.

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