Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen

Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915 295 An den bedeutsameren Entschlüssen der türkischen Staatsmänner aber hatte die Diplomatie der Donaumonarchie, wie im einzelnen gezeigt, kaum noch einen entscheidenden Anteil. Das kriegsmächtige Deutschland ver­fügte in der türkischen Armee, die mit einer Unzahl deutscher Offiziere durchsetzt war, über ein geeignetes Druckmittel auf die politische Führung des Landes. Nur mit Mühe konnte es dem österreich-ungarischen Ver­treter gelingen, in manchen Fällen doch die Interessen Wiens tatkräftig zu behaupten. Allerdings gab es in Konstantinopel keine wirklich ein­schneidenden Reibungspunkte zwischen den beiden Zentralmächten, man war sogar vielfach gezwungen, den oft widerspenstigen Jungtürken ge­genüber mit betonter Einhelligkeit aufzutreten. Denn kaum sahen sich diese von der Bedrohung an den Dardanellen befreit, wuchs ihr Selbst­bewußtsein bis zu einem den Verbündeten unerträglichen Maß. Es kam so weit, daß Markgraf Pallavicini der Presse seines Landes empfehlen mußte, die Waffentaten und Erfolge der türkischen Armee nicht über Gebühr zu preisen ,ps). Selbst die Deutschen gaben Ende des Jahres zu, daß von einer Art Protektorat über die Türkei, wie es ursprünglich vor­gesehen war, keine Rede mehr sein konnte. Vorteile in wirtschaftlicher Hinsicht bildeten nunmehr das Hauptziel ihrer Bestrebungen 198 199). Hierin waren sie allerdings überaus rührig; und der Kampf um ökonomische Privilegien im Osmanischen Reich führte denn doch zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Zentralmächten. Bereits im November 1915 bemerkte Pallavicini, daß Deutschland alles unternahm, um auf jedem Gebiet des öffentlichen Lebens in der Türkei Fachleute als Reformer hineinzubringen. Österreich-Ungarn lief Gefahr, dabei völlig ausgeschaltet zu werden; daher forderte der Botschafter gewisse Verwal­tungszweige, besonders Landwirtschaft, Forst- und Sanitätswesen, als Domäne für die Monarchie. Ende Dezember aber sah er keine Möglich­keit mehr, auch nur diese Ressorts zu erhalten 20°). Hier konnten wieder nur gemeinsame Schritte der Verbündeten helfen; auch Baron Burián sprach sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen im Osmanischen Reich gegen ein konkurrierendes Vorgehen aus 201). Die großen wirtschaftlichen Aktivitäten liefen im Jahre 1916 an, wohl vom Mißtrauen der türkischen Machthaber begleitet. Ein letztes Wort sei dem Manne gewidmet, der Österreich-Ungarn bei der Pforte doch noch die nötige Geltung verschaffte, obgleich er hier­bei unzählige Schwierigkeiten zu überwinden hatte. Wenn die warnenden Ratschläge des k. u. k. Botschafters in Konstantinopel nicht in allen 198) pa I 944 (Krieg 21 a) Ber. 105-A—H: 31. XII. 15, Pallavicini an Burián. 199) pa XII 209 fol. 449: Ber. 97/A-G, 20. XI. 15, Pallavicini an Burián. 200) pa XII 467 (LIII/2) fol. 8: Ber. 92/B, 2. XI. 15, Pallavicini an Burián. — A. a. O. fol. 30: Ber. 104/C, 24. XII. 15, Pallavicini an Burián. 201) PA XL 312 (Interna Ministerrat) fol. 899: 12. XI, 15, Nr. 525.

Next

/
Thumbnails
Contents