Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20. (1967)
BRETTNER-MESSLER, Horst: Die Balkanpolitik Conrad von Hötzendorfs von seiner Wiederernennung zum Chef des Generalstabes bis zum Oktober-Ultimatum 1913
Die Balkanpolitik Conrad v. Hötzendorfs 227 Am 28. Mai zog der Chef des Generalstabes in einem Schreiben an den Außenminister das Resümee aus den eingelangten militärischen und politischen Nachrichten. Wohl nie zuvor tritt Conrads unversöhnliche Feindschaft gegen Serbien deutlicher hervor, als aus diesem Brief. Der Generalstabschef fordert vom Minister des Äußeren eine eindeutige Erklärung, welche Haltung Österreich-Ungarn bei Ausbruch eines neuen Balkankrieges einnehmen werde. Für ihn bedeutet der Appell an die Waffen die einzige Möglichkeit, die großserbische Gefahr zu beseitigen. Sollte sich die Monarchie zu einem Krieg gegen den Nachbarn entschließen, dann müsse man sich bereits jetzt die „. . . unwiderrufliche Zusage . . .“ des Monarchen sichern und ein Bündnis mit Bulgarien schließen. Das Kriegsziel müsse die endgültige Niederwerfung Serbiens sein. „Das Resultat dieser Aktion hätte zu sein: Aufteilung Serbiens wobei der Negotiner Kreis an Rumänien, der Piroter Kreis an Bulgarien fiele, welches überdies die neuerworbenen rein bulgarischen Gebiete bekäme. Der Monarchie müßte das übrige Serbien inklusive Nis, sowie der Sandzak von Novipazar zufallen, Albanien müßte seine natürlichen Grenzen erhalten. Diese Ziele müßten vor Beginn des Krieges fixiert werden“ 55). Diesen Forderungen Conrads standen jedoch mehrere Hindernisse im Wege. Neben dem Ausgleich der rumänisch-bulgarischen Spannungen mußte man sich zunächst der Zustimmung Deutschlands und Italiens versichern. Ferner schien es sehr fraglich, ob die übrigen Großmächte einer so tiefgreifenden Veränderung des status quo auf dem Balkan zustimmen würden. Sodann konnte Rußland einer vollständigen Zertrümmerung Serbiens nicht ruhig zusehen, ohne seine Stellung als Schutzherr der Slawen zu verlieren. Eine rumänisch-bulgarische Annäherung wurde jedoch durch Conrads Plan Bulgarien zur zweiten Balkanmacht zu erheben verhindert, da man in Bukarest besonders die Entstehung eines Großbulgarien fürchtete. Neben der Möglichkeit, daß der Chef des Generalstabes bei seinen Forderungen diese naheliegenden Schwierigkeiten übersah, wäre es aber auch denkbar, daß er die Aufmerksamkeit des Außenministers von der Affäre Redl ablenken wollte und daher mit besonderem Nachdruck eine rasche Entscheidung Berchtolds verlangte. Die Nachricht von der Entlarvung des Obersten schlug in Wien wie eine Bombe ein. Conrads An- * 20 24. V. 1913. Ges. A. M. 17. VI. 1913, Evb. Nr. 2508). „Die Situation ist sehr zugespitzt, alle Anzeichen sprechen vorläufig für einen erneuerten Krieg, trotzdem die russophile Regierung Guechoff ... den Bruderkrieg mit allen Mitteln vermeiden will, aber selbst in diesem Kabinette sitzen Männer, die mit der Wahrscheinlichkeit eines Krieges rechnen.“ Siehe weiters: A. M. D. Ill S. 330. (Brief Laxas an einen Freund vom 20. V. 1913, Res. Nr. 175, präs. 26. V. 1913. Conrad erhielt diesen Brief zugesandt). 55) A. M. D. Ill: S. 333 f. (Brief Conrads vom 28. V. 1913). 15*