Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung
Rezensionen 57S genügender Machtvollkommenheit, Voraussicht und Reaktionsfähigkeit begabt hatte: Erst die Neuzeit rechnet zu diesen Gaben auch den Generalstabschef. Damit spaltete sich das scheinbar einheitliche Bild des Feldherrn, und es wurde beinahe in das Belieben des betrachtenden Historikers gelegt, wohin er das Schwergewicht der jeweiligen Entscheidungen verlagerte. Ebenso war nun der Primat der Kriegsgeschichte gebrochen: Der an der Spitze seiner Truppen vorpreschende Haudegen mit der Fahne in der Hand verschwand, wenngleich er im Grund schon seit jeher eine Sache der Veranlagung war — Octavius-Augustus ließ fast alle seine Kriege durch Unterfeldherren führen, während Napoleons Körper von Wunden zernarbt gewesen sein soll —, und der Taktiker mit seinem Stab rückte an seine Stelle. Ein bisher vernachlässigter Bereich der Militärgeschichte öffnete sich, der sich freilich lange nicht an die Beantwortung der Frage „Was hat es mit diesem Stab eigentlich für eine Bewandtnis?“ heranwagte. Man sprach nur von Kriegen, ihren Ursachen und Kosten, von Schlachten und ihrem Ausgang, man stellte die Zahlen der Lebenden und der Toten einander gegenüber, aber man findet bloß selten eine Schilderung des Apparates, der die ganze Maschinerie nicht nur ermöglichte, sondern auch beherrschte. Diese Lücke will nun Oskar Regele, dem schon zahlreiche Studien über die Beziehungen zwischen Staats- und Wehrverfassung, die österreichische Staatskartographie, den Hofkriegsrat etc. zu danken sind, ausfüllen. Sein neuestes Werk über „Generalstabschefs aus 4 Jahrhunderten“ unternimmt es, das Amt des Chefs des Generalstabes in der Donaumonarchie, seine Träger und Organe von 1529 bis 1918 zu schildern, und damit den Schlüssel zu diesem noch wenig durchforschten Kapitel der österreichischen Geschichte zu liefern. Mit minutiöser Materialkenntnis bietet Regele, der selbst Generalstäbler war, den Lesern, die auf diesem Gebiet doch meist Neophyten sind, profilierte Einblicke zunächst in die Entstehung des Amtes und seine Organisationsgeschichte, reichen doch die Vorstufen des erst 1865 so bezeichneten „Generalstabes“ bis ins 16. Jahrhundert zurück. Dann werden die Entwicklung des Wirkungskreises des Chefs des Generalstabes, die weisungsberechtigten Stellen, die Bindungen des Chefs des Generalstabes, seine unmittelbaren und mittelbaren Organe und schließlich seine Verantwortlichkeit sowie sein Zusammenwirken mit dem Befehlshaber geschildert. Radetzky hat 1813 in einer Denkschrift als die vornehmste Aufgabe des Generalstabschefs „die freimütige und offene Beratung seines Kommandanten“ bezeichnet. Wohl treffe der Tadel „über unser Tun und Lassen“ auch den Berater: „Die große und letzte Verantwortung“ jedoch laste allein auf dem Befehlshaber, von dem der Impuls für die Gesamttätigkeit auszugehen habe und der nur die Detailbearbeitung seinen Hilfsorganen überlasse. Man dachte selbstredend nicht überall so einheitlich, vor allem nicht in der deutschen Wehrmacht, wo etwa Ludendorff ausdrücklich ein Mitverantwortungsrecht beanspruchte und sich auch als alleiniger Sieger von Tannenberg anerkannt wissen wollte (S. 97). Andererseits neigen siegreiche Feldherren im allgemeinen wieder dazu, das eigene Verdienst an der Kriegführung als ausschlaggebend zu unter37*