Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung

574 Literaturberichte vollkommen ernst gewesen ist. Die Konstitution sollte die leopoldinischen Reformen sowohl krönen wie sichern. Nur der von Joseph II. seinem Bruder abgerungene Verzicht auf die dauernde Eigenstaatlichkeit Tos­kanas ließ diesen Plan unverwirklicht. W. beschäftigt sich in seinen beiden Bänden eingehend mit den Pro­blemen der Kirchenpolitik Leopolds, die er aus guter Kenntnis klug und richtig beurteilt. Unter Heranziehung zahlreicher moderner italienischer Forschungsergebnisse über den aufgeklärten Reformkatholizismus und den Spätjansenismus kann er den deutschen Leser auf unerwartete Zu­sammenhänge und Verschmelzungen hinweisen, die auch für die weitere diesbezügliche Forschung im deutschen und österreichischen Bereich nicht ohne Wichtigkeit sind. Leopold stand sosehr im Zentrum der reform­katholisch-jansenistischen Richtungen, daß er sich zum „Reformer“ der Kirche berufen fühlte. Sein Eingreifen in den kirchlichen Bereich geschah aber nicht, wie bei Josef, durch autoritäre Dekrete, sondern wieder im Sinne seiner konstitutionellen Ideologie: als Mittel wählte er die Diözesan- synoden, die das Nationalkonzil vorbereiten sollten. Hiebei stützte er sich auf den radikalen Jansenisten Ricci, Bischof von Pistoja. Das antirömische Reformprogramm scheiterte aber gänzlich sowohl am Widerstand der meisten Bischöfe Toskanas, die im Frühjahr 1787 zusammengerufen wor­den waren, wie auch an jenem des Volkes gegen die Hinwegräumung seiner frommen Traditionen. Was war aber Leopold im Grunde für ein Mensch? Diese Frage psycho­logischer Art war wohl für den Biographen das größte Problem. Leopold war kein einfacher und durchsichtiger Charakter. Seine abweisende Ver­schlossenheit in früher Jugend machte allerdings später einem gewinnen­den Wesen gegenüber seiner Umwelt Platz. Leopold war ein Mann des Friedens, er vermied Auseinandersetzungen und dieser Friedfertigkeit ist ein Großteil seiner Erfolge als Nachfolger Josefs zuzuschreiben. Dahinter aber scheint ein anderer Leopold sichtbar zu werden, der nicht nur schwermütig und verdrossen, sondern kalt und herzlos in seinen rationali­stischen Urteilen über Mitarbeiter und Untergebene, aber auch über die eigenen Familienmitglieder wirkt. In erschreckender Weise zeigen dies jene hochinteressanten Dokumente, die Leopold als Ergebnisse seiner Wienreisen der Jahre 1778—79 und 1784 zu seinem eigenen Gebrauch anlegte, und die eine scharfe Charakteristik der Zustände der Monarchie beinhalten. Ein Teil davon, in einer eigenen Geheimschrift geschrieben, die der Autor ohne Chiffernschlüssel in mühevoller Arbeit entzifferte, gelten seiner Mutter und seinen Geschwistern. „Schonungslos“ nennt der Autor die darin enthaltenen kritischen Urteile, die für keinen anderen Menschen bestimmt waren, in denen er offensichtlich seiner eigenen schlechten Stimmung, Enttäuschung, Eifersucht u. a. Luft machte. Dunkle Schatten fallen auf viele Glieder seiner Familie, — manches wird noch im einzelnen zu überprüfen sein. Sie fallen aber auch in nicht geringerem Maß auf den Schreiber selbst zurück, dessen ratio offenbar sosehr entwickelt war, daß sie das Urteil des Herzens erstickte. Zweifellos handelt es sich hier aber um einen sehr bedeutsamen Fund, der trotz aller Einseitigkeiten

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