Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung

568 Literaturberichte scheiterte. Er bezeichnet es als böses Omen, daß diese Lösung zu einem Zeitpunkt geschaffen worden war, als die am mitteleuropäischen Raum am stärksten interessierten Länder, nämlich Deutschland und Rußland, am Boden lagen. Die Komplexität der Entwicklung spiegelt sich in der Historiographie des Zusammenbruches der Monarchie wider, über die Zeman einen knappen Überblick bietet. Die nationalen Schulen der Zwischenkriegszeit ebenso wie die liberalen und sozialistischen Historiker in Österreich und Ungarn blieben auf dem Standpunkt der ersten Berichte von Siegern und Besiegten (Dmowski, Masaryk, Jovanovic, Czernin, Conrad, Lammasch), die Monarchie sei ein sterbendes Gebilde gewesen, gebunden an die expansionistischen Ziele der deutschen Politik. In der scharfen Trennung zwischen herrschenden (Deutsche und Ungarn) und beherrschten Völkern wurde die komplizierte hierarchische Ordnung der Nationalitäten entstellt. In der tschechischen Historiographie zeigte sich eine Tendenz zur Überwertung der Aktivität der Exilpolitiker und zur Vernachlässigung der inneren politischen Entwicklung, weil erstere wesent­lich radikaler waren, während die Zurückgebliebenen lange Zeit eine loyale Haltung bewahrten oder zumindest voreilige Handlungen ab­lehnten. Die marxistische Historiographie der Nachfolgestaaten seit dem zweiten Weltkrieg behauptet eine scharfe Trennung zwischen nationaler und sozialer Revolution, sie läßt die bolschewistische Revolution mit ihren Folgen als allein verantwortlich für den Zusammenbruch der Monarchie erscheinen. Als Basis für seine Arbeit dient Zeman das Aktenmaterial des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, des Verwaltungsarchivs und des Kriegsarchivs, ferner die deutschen Dokumente, die sich in England befanden, und die publizierten Quellen aus den Nachfolgestaaten. Er gliedert seine Studie in acht Abschnitte: Vor dem Krieg, die Ostfront, Austria delenda est, Tod des Kaisers, Revolution im Osten, Sieg der Radikalen, Triumph der Exilpolitiker, das Ende des Reiches. Schon in diesen Kapitelüberschriften werden die Schwerpunkte seiner Untersuchung deutlich. Im ersten Kapitel „Vor dem Krieg“ gibt Zeman einen knappen Über­blick über die Stimmung der Nationalitäten, allerdings nur der slawi­schen, und zwar in Galizien, den Ländern der böhmischen Krone und den südslawischen Gebieten. Diese Völker und ganz besonders die Tsche­chen stehen auch weiterhin im Mittelpunkt des Interesses des Verfassers. So kommt er auch zu der Ansicht, man habe international Österreich- Ungarn als Schützer der Rechtsordnung in chaotischen Gebieten betrachtet, niemand im Westen habe sich für die Völker der Monarchie interessiert und nur Rußland — teils durch Serbien, teils direkt — den Irredentismus gefördert. Angesichts der doch zumindest militärischen und wirtschaft­lichen Bedeutung der Neutralität und des späteren Kriegseintrittes Italiens und Rumäniens auf Seite der Entente müßten für eine Untersuchung der Ursachen des Zusammenbruchs der Monarchie auch der italienische und rumänische Irredentismus erörtert werden. Erfreulich ist dagegen, daß Zeman vor allem bei den ruthenisch-ukrainischen Problemen und bei den Tschechen die Vielschichtigkeit und Komplexität der Lage herausarbeitet und die Unrichtigkeit der Behauptung mancher tschechischer Historiker

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