Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung
566 Literaturberichte Rumpler Helmut, Das Völkermanifest Kaiser Karls vom 16. Oktober 1918. Letzer Versuch zur Rettung des Habsburgerreiches. Österreich Archiv, Schriftenreihe d. Instituts f. Österreichkunde, Verlag f. Geschichte u. Politik, Wien 1966, 96 S. Vorweg die Verdienste der eingehenden Untersuchungen des Verfassers. Sie liegen in der mit viel Spürsinn durchgeführten Aufhellung der Textgeschichte des Manifestes und in dem Nachweis, daß die in der Literatur anzutreffende Annahme, es führe eine direkte Linie von Plänen für eine Verfassungsreform 1918 über Max Hussarek zum Oktobermanifest, nicht zutrifft. Es tritt dabei zutage, daß der vorletzte k. k. Ministerpräsident später in der Republik aus Gründen der Loyalität für seinen kaiserlichen Herrn die Verantwortung für Dinge übernommen hat, an denen er nur am Rande beteiligt gewesen war. In anderen Fragen ging aber der Verfasser irre. Es ist unrichtig, daß die Entstehungsgeschichte des Manifestes bisher weithin ungeklärt war. Wesentliche Aufschlüsse, vor allem über die außenpolitischen Ziele, die damit erreicht werden sollten, finden sich schon bei Jan Opocensky, Umsturz in Mitteleuropa, Hellerau 1931, 241 ff. Das Werk bringt keine Belege, in seiner in tschechischer Sprache abgefaßten Urform: Konec monarchic rakousko-uherské, Prag 1928, vermittelt jedoch ein umfangreicher Apparat, der vielfach auch Aktenauszüge in deutscher Sprache bringt, wertvolle Quellenangaben. Deutlich tritt die Tätigkeit der sogenannten Schweizer Friedensbörse hervor, die nachweislich gerade um den 15. Oktober 1918 auf die Entschlüsse des Kaisers und des Außenministers Burián maßgeblich eingewirkt hat. Es wurde ihnen vor Augen gestellt, daß der letzte Moment gekommen sei, in dem die Entente zu Sonderfriedensverhandlungen mit Österreich-Ungarn noch bereit sei. Die Reaktion in Wien war die, daß nunmehr den von Wilson aufgestellten Forderungen in der Nationalitätenfrage unbedingt Rechnung zu tragen sei. Das Ergebnis war das Manifest. Mit Recht hat Rumpler auf die kaiserliche „Privatpolitik“ hingewiesen, bei der die verantwortlichen Minister, auch Hussarek, weitgehend ausgeschaltet wurden. Unzutreffend ist es, den Einfluß eines kleinen deutschradikalen Kreises um den Abgeordneten Oskar Teufel zu überschätzen. Kam auch von dieser Seite ein Entwurf des Manifestes in die Hände des Kaisers, so darf nicht übersehen werden, daß sich zu diesem ursprünglich von den Sozialdemokraten am 4. Oktober entworfenen Programm alle deutschen Parteien, zuletzt die Christlichsozialen am 8. Oktober, bekannt hatten (Karl Neisser, Politische Chronik der öu. Monarchie 1918, 505 f.). Das hieß Begründung eines Bundesstaates der nationalen Siedlungsgebiete im Sinne des alten Brünner Programms der Sozialdemokraten. Hussarek wollte, wie Rumpler richtig darstellt, etwas anderes: eine Autonomie der historischen Länder und erst innerhalb dieser eine Selbstverwaltung der nationalen Minderheiten. Daß der Kaiser in den Morgenstunden des 15. Oktober dem Baron Eichhoff den Auftrag gab, einen Entwurf in diesem Sinne vorzubereiten, stellt in dem Auf und Ab dieser wirrnisreichen Tage nur eine Episode dar. Es läßt sich unschwer daraus erklären, daß gerade am 14. Oktober die Situation in Böhmen sehr kritisch wurde, man befürchtete sogar die Aus