Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung
Rezensionen 565 Verwaltungsteilung Böhmens im Sinne der Forderungen des deutschen Nationalverbandes. Nur war Hussarek, wie Rumpler hervorhebt, mit Recht überzeugt, daß eine Einigung mit den Tschechen, deren Politik schon vom Ausland bestimmt war, kaum möglich war. Gleichzeitig mußte aber ein Mann von seiner Urteilskraft auch wissen, daß das Ende des Krieges langerwarteten deutschnationalen Genüssen, wie der Teilung der Landesverwaltungskommission Böhmens oder der Errichtung des Kriegsgerichtes Trautenau ein drastisches Ende bereiten würde. Vor die Entscheidung gestellt, den radikalen bundesstaatlichen, allenfalls sogar staatenbundartigen Umbau der Monarchie mit gewiß geringer, aber bei Ausschaltung der politischen Emigration immerhin noch denkbarer Erfolgsaussicht zu befürworten, entschied sich der Ministerpräsident für den deutschen Zentralismus. Dieser aber mußte mit sozusagen mathematischer Sicherheit zum Zerfall führen. Nur konnte in diesem Fall der unmittelbare Eklat noch um ein paar Wochen hinausgeschoben werden. Das hieß gewissermaßen: wenigstens nicht unter mir, sondern erst nach mir die Sintflut. In all diesen Fragen und manchen anderen, die aus Raummangel nicht angeführt werden können, erweist sich Hussareks Staatskunst als die eines Mannes, der selbst nicht an die Möglichkeit des Erfolges der von ihm routinemäßig fortgeführten Amtsgeschäfte — man kann kaum sagen Politik — glaubte. Die Problematik dieses Regierungskurses und der Primat der nationalen Krisen auch in bezug auf die Außenpolitik ist von Rumpler auf solider Grundlage kritisch herausgearbeitet worden. Dadurch unterscheidet sich seine Arbeit, die hohe Anerkennung verdient, von der mancher anderer jüngerer Historiker, die schon vor dem bloßen Anschein der jurare in verba magistri ängstlich zurückscheuen. Zwei kleine Anmerkungen, die dem Wert der Studie durchaus keinen Abbruch tun, seien erlaubt. Hawerda-Wehrlandt war niemals Obersthofmeister, sondern Generaldirektor des kaiserlichen Privat- und Familienfonds und nur interimistisch mit der Führung der Kabinettskanzlei betraut. Die Bemerkung in Anmerkung 61, daß Hussarek im Jahre 1927 „wieder von Kelsen an die Universität berufen“ wurde, ist unverständlich. Der Rezensent dieser wertvollen Arbeit gehört zu der im Aussterben begriffenen Gruppe jener, die noch den Vorzug hatten, als Studierende Hussarek als akademischen Lehrer zu kennen und wohl ohne Ausnahme zu schätzen. Der Eindruck des geistvollen, übermäßig skeptischen Mannes wird ihm unvergeßlich bleiben. Er kann sich aber nicht dem Eindruck verschließen, daß die Tragik der letzten Schicksalsjahre des alten Österreich mit auch darin bestand, daß seine Staatsmänner — alle vorbildlich loyal gegenüber der Monarchie — zum Teil, wie Burian und Seidler, den notwendigen Glauben an die Möglichkeit der Rettung des Reiches, aber nicht die nötige Einsicht besaßen. Andere aber, wie Czernin und Hussarek, hatten die Einsicht ohne den Glauben. Churchill hat beides besessen. — Hussarek aber war ein vorzüglicher Beamter und kenntnisreicher Kirchenrechtslehrer. Robert A. K a n n (Princeton).