Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung
564 Literaturberichte Die verhängnisvolle Taktik der Scheu vor schwierigen Entscheidungen tritt schon in Hussareks Tätigkeit als Unterrichtsminister in den letzten Friedensjahren hervor, also zu einer Zeit, da das moralische Alibi der verzweifelten Lage des Jahres 1918 noch nicht gegeben war. In der Frage der Errichtung einer italienischen juristischen Fakultät — ein Sturm im Wasserglas — stand Hussarek im Kreuzfeuer deutsch-, italienisch- und slowenisch-nationalen Druckes. Der Generalstabschef Conrad, einer der wirklichen Totengräber des alten Österreich, erklärte Hussarek gegenüber hinsichtlich der Universitätsfrage: „Jetzt ist damit nichts. Zuerst bekommen die Italiener Schläge und dann wollen wir überlegen, ob es notwendig ist für so etwas Geld hinauszuwerfen“ (S. 12). Um die Lage noch verwickelter zu machen, bestanden überdies Unstimmigkeiten zwischen Kaiser und Thronfolger hinsichtlich des Sitzes der neuen Fakultät in Triest oder Trient. Ohne Zweifel hätte hier jede positive Lösung mächtige Kräfte verstimmt. Hussarek wählte eine Regelung dieser im letzten Stadium rein administrativen Frage, die zwar ganz bestimmt nicht zum Ziel führen konnte, aber dafür die Verantwortung auf andere Kräfte abschob, nämlich die einer praktisch unmöglichen Einigung zwischen den parlamentarischen Parteien. Diese Aktion Hussareks, der diesen Konflikt in seinen späteren Aufzeichnungen übrigens als „ein Rapiergefecht voller Beweglichkeit und Eleganz“ bezeichnete (S. 13), erscheint mir für den Staatsmann in hohem Maße charakteristisch. Auch wer, wie der Rezensent, Rumplers positive Beurteilung von Hussareks Politik in dieser Angelegenheit durchaus nicht teilt, bleibt ihm doch zu Dank verpflichtet, daß er diese Phase der Tätigkeit des Unterrichtsministers hervorhebt. Sie entspricht völlig seiner späteren Handlungsweise in viel bedeutungsschwereren Situationen. Als Hussarek Ende Juli 1918 in einer Lage, die sich der tragischen Endlösung näherte, zum Ministerpräsidenten bestellt wurde, nahm er als Richtziel seiner Politik eine „quadralistische“ Politik in Aussicht „mit den Gruppen deutsche Alpen- und Sudetenländer als Österreich, Ungarn, Kroatien und Nebenländer, Galizien mit einem autonomen ukrainischen Gebiet“ (S 30). Mit Recht hebt Rumpler hervor, daß dieses Programm, so schwierig praktisch seine Durchführung, so anfechtbar in vielem seine Voraussetzungen waren, immerhin „System“ zeigte und zwar ein System in der Richtung weitgehender, aber durchaus nicht völliger nationaler Autonomie. Man kann es nun dem Ministerpräsidenten gewiß nicht zum Vorwurf machen, daß er in keinem einzelnen dieser Punkte sein Ziel auch nur im entferntesten erreicht hat, wohl aber, daß er eine vorweg zur Aussichtslosigkeit verurteilte Politik geführt hat, die seinen Prinzipien fast in allem und jedem widersprechen mußte. Er hat eine südslawische Lösung in Aussicht genommen, die zwar die Trennung Kroatien-Slawoniens von Ungarn, nicht aber die der slowenischen Gebiete von Österreich umfaßt hätte. Er ist dem Phantom der austro-polnischen Lösung gefolgt, die, ganz abgesehen von der mit ihr unvereinbaren Regelung der ukrainischen Frage, der Kriegslage in keiner Weise entsprach. Vor allem aber ist Hussarek schließlich dem von ihm nur leicht abgeschwächten , deutschen Kurs1 Seidlers gefolgt. Dies aber beinhaltete die aktive Förderung der