Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 19. (1966)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bedeutung des Zeitungsarchivs Borgs-Maciejewski für die zeitgeschichtliche Forschung

Rezensionen 561 Das Kernstück des Werkes, die Badenikrise selbst, mit der sich die gegenständliche Besprechung vor allem beschäftigen will, stellt die großen und man möchte hinzufügen entscheidenden Hauptvorzüge von Sutters Arbeit heraus: gründliche Sachkenntnis, eindrucksvolle Beherr­schung und Erschließung des Quellenmaterials und einen vorbildlichen Willen zur Objektivität gegenüber einem Problem, das auch heute noch auf dem Boden von Sutters Wirken als nicht unumstritten gelten kann. Hinsichtlich der neuerschlossenen Quellen begrüßt man es besonders, daß der Verfasser die Abschriften der beim Brand des Justizpalastes im Jahre 1927 zerstörten Ministerratsprotokolle heranzieht. In bezug auf Badeni selbst erkennt er durchaus an, daß der Ministerpräsident das Richtige gewollt hat, weist aber auf die vielen und schwerwiegenden Fehler hin, die er in Verhandlungen mit deutschen und tschechischen Parlamentariern vor allem mit der unglücklichen Geschäftsordnungsre­form des Reichsrats und der mißbräuchlichen Anwendung des § 14 begangen hat. Darauf bedacht, den zehnjährigen Ausgleich mit Ungarn mittelbar durch Unterstützung einer soliden parlamentarischen Mehrheit unter Dach zu bringen, hat Badeni nach Sutter durch ungerechtfertigte Konzessionen an die Tschechen die Situation gründlich verfahren. Freilich gibt er ihm durchaus nicht allein die Schuld. Doch hatte Graf Badeni „die Chance in seinen Händen, den inneren Frieden im Reiche wieder­herzustellen. Er aber verspielte so sehr die sich ihm bietende Gelegen­heit, daß eine solche bis zum Untergang der Monarchie nicht wieder­kehrte.“ (Bd. II, 445) Nun kann man Sutter hinsichtlich der von Badeni begangenen Mißgriffe, sowie in bezug auf eine ganze Reihe seiner Schluß­folgerungen im einzelnen durchaus zustimmen. Was er nach der hier ver­tretenen Ansicht nicht wahrscheinlich machen kann, ist die Annahme, daß eine geschicktere administrative und parlamentarische Taktik statt besten­falls zu temporären Kompromissen zu entscheidenden positiven Lösungen hätte führen können. Die bekannte ,papierdünne Wand1 im deutsch­tschechischen Konflikt erhält ja ihren Sinn vorwiegend unter der An­nahme, daß nationale Ausgleiche, wenn sie wirklich zustande gekommen wären, Ewigkeitswert besessen hätten. Tatsächlich lag aber dem natio­nalen Denken in allen Lagern eine stillschweigende clausula rebus sic stantibus zugrunde. Die Änderung sozialer und nationaler Verhältnisse mußte geradezu zwangsläufig auch zu der Überholung politischer Verein­barungen führen. Das gilt für die expansiven Tendenzen des tschechischen ganz genau so wie für die des deutschen Nationalismus, wie auch für andere nationale Gruppen. Wie Sutter mit Recht erkennt, waren die Aus­wirkungen der Badenikrise von großer und tragischer Wirkung für die Zukunft Österreichs und Europas, aber die Fragen politischer Taktik spielen in diesem Rahmen doch eine recht untergeordnete Rolle. Hinsichtlich des Nebenthemas, der Auswirkung der Badenikrise auf die inner österreichischen Alpenländer, bringt der Verfasser wohl inter­essante neue Einzelheiten in reichem Ausmaß, aber kaum Tatsachen, die das bekannte Geschichtsbild wesentlich verändern. Das ist insofern be­dauerlich, als z. B. eine viel gedrängtere Darstellung der Grazer Demon­strationen und der Degradierung der hauptsächlich studentischen Reserve­Mitteilungen, Band 19 36

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