Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte
696 Literaturberichte Entwicklung der deutsch-englischen Beziehungen vor allem im Zusammenhang mit der Frage der Delagoa-Bai und damit der portugiesischen Kolonien überhaupt ließ die Einheit des Kabinetts immer mehr zerfallen und Salisbury gewann nie wieder die Kontrolle des Kabinetts. In der südafrikanischen Krise ist eindeutig nicht mehr Salisbury, sondern Chamberlain führend, der sich jedoch seinerseits nicht gegen die Kriegspolitik Milners durchsetzen konnte. Grenville kommt zu dem Schluß, daß das Kabinett führerlos in den Krieg trieb. In der Folgezeit wächst Salisburys Entschlußlosigkeit und Apathie immer mehr. Wiederum stehen die deutsch-englischen Beziehungen zur Diskussion, wobei die deutsche Haltung ebenso vielschichtig und unentschieden ist wie die englische. Ein ganzes Kapitel ist den Problemen Asiens, vor allem der Verteidigung Indiens und dem Boxeraufstand gewidmet. Ähnlich wie in Südafrika mit Milner gibt es auch bezüglich Indiens ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kabinett und Lord Curzon. Der vierte Teil des Buches behandelt die Jahre 1900—1902, als sich Salisbury — wiederum über Drängen anderer — auf die Stellung des Premierministers zurückzog und das Foreign Office Lansdowne überließ, der nun die Wendung der britischen Außenpolitik einleitete. Die mandschurische Krise, das Scheitern der deutsch-englischen Allianzverhandlungen, die Aussöhnung mit den Vereinigten Staaten nach dem Konflikt um den Panamakanal, der Abschluß der Allianz mit Japan sind die ersten Meilensteine auf diesem Weg. Bei der Erörterung der Verhandlungen mit Deutschland ist Grenville wiederum um das Verständnis für beide Seiten bemüht und arbeitet eindringlich heraus, wieviel Mißverständnisse zum Scheitern beitrugen, noch gefördert durch die Eigenmächtigkeiten Hatzfelds und dann Eckardsteins. Dazu kam noch, daß unter Lansdowne auch das ständige Personal des Foreign Office, vor allem Bertie, immer mehr Einfluß auf die Politik gewann. Zum Panamakonflikt bringt Grenville aus den Akten des Foreign Office einige wichtige Details in neuem Licht und macht die Haltung Englands verständlich. Die Lösung des Konfliktes hält er für Lansdownes größten Erfolg; hiedurch konnte die Verteidigung der westlichen Hemisphäre den USA überlassen werden, der Vertrag mit Japan gab England im fernen Osten eine Überlegenheit gegenüber Rußland und Frankreich, sodaß sich die Flotte auf die Heimatgewässer und das Mittelmeer konzentrieren konnte. Zu der komplizierten Geschichte der Allianz mit Japan konnte Grenville aus den Akten beider Partner wichtige Erkenntnisse gewinnen. Am Schluß erörtert er die Lage Englands in Europa im Sommer 1902. Die Beziehungen zum Kontinent waren seit 1898 das wichtigste Problem. Gerade hiebei zeigte sich besonders deutlich die Meinungsdifferenz zwischen Salisbury und dem übrigen Kabinett. Das Scheitern der Bemühungen um eine Allianz mit Deutschland ließ Lansdowne zunächst ratlos, wie er aus der Isolierung herauskommen könne, die bereits seit langem auch von militärischer Seite als sehr bedrohlich angesehen wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß bis dahin sämtliche Kriegspläne nur gegen Rußland und Frankreich ausgearbeitet wurden, während solche gegen die