Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte
Rezensionen 695 darauf zurückgehen, daß er bisher vorwiegend im Lichte der deutschen Aktenpublikationen gesehen wurde; zunächst ist es die Behauptung, er habe die Geheimpolitik begünstigt und jeden Kontakt mit anderen Mächten zu vermeiden getrachtet. Salisbury war zwar ein Gegner von festen Allianzen, aber er wünschte eine Zusammenarbeit entsprechend der jeweiligen Situation, basierend auf gemeinsamen Interessen der Partner. Gefühle oder rassische Verwandtschaft hielt er nicht für eine geeignete Basis der Politik. Gegen den Vorwurf der Nichterneuerung des Mittelmeerabkommens konnte Grenville aus dem österreichischen Archivmaterial feststellen, daß nicht Salisbury, sondern Goluchowski eine Fortsetzung der vertraglichen Bindungen verhinderte. Die vorsichtige und geduldige Behandlung ernster internationaler Probleme bezeichnet Grenville als Hauptstärke Salisburys; dieser beherrschte in der ersten Periode das Kabinett meistens, dann erwuchs ihm in Chamberlain eine ernste Konkurrenz und nach der Jahrhundertwende begann Lansdowne den Kurswechsel. Die Ereignisse der ersten Periode gruppiert Grenville um die Probleme der orientalischen Frage, der anglo-amerikanischen Spannung wegen Venezuela 1895—97, des britischen Desinteressements in der Türkei und der Expansion in Afrika. Bezüglich der orientalischen Frage unterstreicht er die Bedeutung der von der Admiralität vertretenen Ansicht, daß eine Verteidigung der Meerengen unmöglich sei. Salisbury war zwar anderer Meinung, wurde jedoch überstimmt; in diesen Zusammenhang gehört auch die Nichterneuerung des Mittelmeerabkommens. Eine große Rolle spielen bereits in diesem Abschnitt die deutsch-englischen Beziehungen, wobei Hatzfelds eigenmächtige und ungeschickte Politik scharf kritisiert wird. Das Nachgeben Englands im Venezuela-Konflikt geschah gegen den Willen Salisburys und wird aus der allgemeinen Weltlage erklärt. Auch in der weiteren Entwicklung der orientalischen Frage, die schließlich zum türkisch-griechischen Krieg führte, gelingt es Salisbury nicht, seine Ansichten im Kabinett durchzusetzen oder die Mächte zum gemeinsamen Vorgehen zu bewegen. Die traditionelle britische Balkanpolitik ist damit zu Ende, die Beziehungen zum Dreibund lockern sich und ohne daß es Salisbury wollte, wird so die Anlehnung an den Zweibund vorbereitet. Bei den afrikanischen Problemen, vor allem dem Jameson-Raid, dem Krügertelegramm, der Nil- und Nigerfrage ist Salisburys Rolle eher zurückhaltend und phlegmatisch, er überläßt Chamberlain weitgehend das Feld. Selbst in den ersten Jahren der Tätigkeit Salisburys ist also seine Rolle nicht sehr eindrucksvoll und später gelang es ihm noch weniger, sich durchzusetzen. So ist denn der zweite Teil der Arbeit dem Kampf mit Chamberlain um die Kontrolle der Politik gewidmet und behandelt die Chinakrise 1898/99, die „Fata morgana“ der deutschen Allianz 1898, die Frage der portugiesischen Kolonien, die Haltung Englands im spanisch-amerikanischen Krieg, Faschoda und das Scheitern der Diplomatie in Südafrika. Salisbury erwies sich in diesem Zeitraum als recht realistisch in seinem Urteil, während Chamberlain die politische Lage falsch einschätzte und außenpolitisch scheiterte. Omdurman und Faschoda stellten das durch die Fehlschläge in China geschädigte Ansehen Salisburys wieder her. Ähnlich wie in der Türkei war er auch im Fernen Osten gegen eine Aufteilung unter die Großmächte und wollte den status quo möglichst lange erhalten. Die