Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte
Rezensionen 689 Staatsfinanzen brachte. Als in Mailand in den Jahren 1750—55 der Umbau des mittelalterlichen Stadtstaates zum modernen Staatswesen vor sich ging, — zunächst durch die große Steuerreform und die Aufstellung des Katasters, — handelte es sich noch um praktische Rationalisierungsmethoden. Erst gegen Ende der 1750er-Jahre kann der Autor das Erwachen des an Paris orientierten Geistes der europäischen Aufklärung beobachten, zu derselben Zeit, als diese auch in Österreich Wurzeln schlug. Da wie dort war eine gegenüber Frankreich geringere philosophische Schöpferkraft vorhanden, dieser Mangel wurde aber durch weit höhere praktische Leistungen in der Anwendung der aufgeklärten Staatslehren kompensiert. Daher betont der Autor nachdrücklich, daß die österreichisch-italienischen Beziehungen jener Zeit keineswegs bloß in der literarisch-künstlerischen Sphäre zu suchen seien, sondern daß ihr Schwergewicht im administrativen Bereich liege. Die Hauptakteure werden in ihrer spezifischen Einstellung charakterisiert. Als ein Voraufklärer kann Giovanni Bonaventura Neri gelten, der — sehr typisch — zugleich gelehrter Nationalökonom wie Verwaltungsbeamter, eben der Schöpfer des Katasters in der Lombardei war. Die Zentralfigur in dieser ersten Epoche, unter Maria Theresia, war Carl Graf Firmian, bevollmächtigter Minister in der Lombardei, ein Kunstmäzen großen Stiles. Im Hintergrund an den Wiener Zentralstellen unterstützten ihn Sperges und Kaunitz. Die Opposition der konservativen Schichten kam allmählich zum Verstummen, die Jungen fanden sich bereits in der reformfreudigen „Accademia dei pugni“ zusammen, deren kurzlebiges aber bedeutsames Sprachrohr „II Caffé“ (1764—66) zur Erfassung der Bestrebungen dieses Kreises sehr dienlich war. Schon in dieser Epoche war Firmian bestrebt, die zum Teil sehr radikalen Männer an den Staat zu binden: Beccharia, der durch sein Werk über das Strafrecht europäische Berühmtheit erlangte, ebenso wie den zur völligen Umorganisierung des Staates hindrängenden Verri, sowie auch den gelehrten Kosmopoliten und Barnabiten- pater Paolo Frisi, aber auch den gemäßigten Mittler zwischen Konservativen und jungen Reformern, den Grafen Carli, und den Dichter Parini. Auf solche Weise wurde die österreichische Lombardei neben Toskana der zweite italienische Musterstaat, dem die aufgeklärte Gelehrsamkeit, die unter Joseph II. an der Universität Pavia ihren Hauptsitz erhielt, zu dienen bereit war. Jetzt erhielten die Naturwissenschaften, so auch die Medizin, ihre besondere Förderung — kein Geringerer als Johann Peter Frank wurde 1785 nach Pavia berufen —, aber auch die Aufklärungstheologie und der „Reformkatholizismus“, die in den starken jansenistischen Strömungen in Italien ihren Nährboden gefunden hatten, gewannen hier unter staatlicher Begünstigung ihre Heimstätte. Firmian selbst stand dem jansenistischen Anticurialismus sehr nahe; aber auch bei einer starken Gruppe der Intelligenz des Landes und bestimmter kirchlicher Kreise bestand grundsätzlich keine Ablehnung der josephinischen Ideen. Der Autor macht in diesem Zusammenhang auf eine Reihe italienischer, bei uns kaum beachteter Arbeiten über jansenistische Reformbestrebungen in Italien in der Nachfolge Mura- toris aufmerksam. Er weist auch darauf hin, daß der erwähnte Paolo Frisi, der geistliche Aufklärer und Jesuitengegner, Berater Josephs II. und des Fürsten Kaunitz, vielleicht eine Schlüsselfigur im Josephinismus, ebenfalls Jansenist gewesen sein dürfte. Trotzdem aber riefen in der lombardischen Mitteilungen, Band 17/18 44