Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte

684 Literaturberichte Zollunionsprojektes — gegen jede Hilfe, die die Eigenstaatlichkeit sichern sollte. Freilich — und das aufzuzeigen ist ein Verdienst der vorliegenden Studie von Grete Klingenstein — haben nicht zuletzt wichtige soziale und wirtschaftliche Motive die Haltung der Opposition bestimmt. Es ist erstaun­lich, mit welcher Aufgeschlossenheit hier eine Dissertantin die komplizier­ten politischen und wirtschaftlichen Probleme behandelt, ohne einseitige Wertungen und Abwertungen. Wenn ein Wunsch noch offen ist so der, daß es der Verf. bald vergönnt ist, auch das ihr noch verschlossene Material bei einer hoffentlich bald möglichen Neubearbeitung zu verwenden. Über ein thematisch eng verwandtes Thema handelt der erste Band der Reihe von Gottlieb Ladner. Die ihm dafür zuteil gewordenen Vorschuß­lorbeeren welken bei näherer Prüfung seiner Arbeit leider ziemlich schnell. Sein Fleiß und Eifer stehen hier außer Zweifel. Es wird im übrigen vom Rezensenten in anderem Zusammenhang noch eingehender auf diese Publi­kationen zurückzukommen sein; hier seien, was namentlich die Studie über die Genfer Protokolle von 1922 betrifft, nur die wesentlichen Momente hervorgehoben. Die Arbeit Ladners unterscheidet sich in vieler Beziehung diametral von der Klingensteins. Ihm standen für seine Dissertation alle Archivalien im österreichischen Staatsarchiv zur Verfügung, doch mangelt ihm offenbar jede historische Kritik. Die Persönlichkeit Seipels, die gerade wegen ihres hohen geistigen Ranges in vieler Beziehung problematisch und wider­spruchsvoll bleiben muß, wird von L. einerseits verniedlicht, andererseits überschätzt, wie die Gegner des Kanzlers in jedem Fall der Bosheit oder Blindheit geziehen werden. Der bloße Versuch, auf die sozialen und wirt­schaftlichen Beweggründe der Gegner des Kanzlers einzugehen, hätte manches an dieser einseitigen, tendenziösen Grundeinstellung ändern können. Das bleibt immerhin noch eine Frage der persönPehen Gesinnung. Be­denklich ist es jedoch, wenn die Überzeugungen des Verf. auch auf die Auswahl und Behandlung der Quellen ihre Wirkungen zeitigen. So werden z. B. die parlamentarischen Verhandlungen nicht nach den stenographischen Protokollen, sondern nach den Berichten der Regierungspresse zitiert und herangezogen. Mehr noch; die Angaben über einzelne Quellenstellen er­weisen sich oft bei näherer Betrachtung als unzutreffend und irreführend. Es ist nicht möglich, im Rahmen dieser Rezension auf das der Sperre un­terliegende Archivmaterial, das Ladner zur Verfügung stand, näher einzu­gehen. Doch zeigt schon eine Kontrolle der gedruckten Literatur in nicht wenigen Fällen, wie der Verf. mit seinen Belegstellen umspringt; so wenn er etwa auf S. 11 ein Seipelwort über die große Koalition nach dem Ersten Weltkrieg auf die Genfer Aktion — fast möchte man sagen ins Gegenteil — ummünzt. Dabei erkennt der Autor offenbar nicht, daß das Bild des großen österreichischen Politikers durch ein solches Verfahren keineswegs strah­lender wird, denn gerade Seipel war die in späteren Zeiten unter Politikern nicht unbekannte Großmannssucht fremd. Wenn wir nach dem Gesagten den ersten Band der Reihe als den schwächsten kennzeichnen müssen, so dürfen wir die beiden anderen Publi-

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