Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866
Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866 311 pompösen Insignienreise für zuständig erklärt116). Oberstkämmerer Graf Crenneville fand sich persönlich zur Agnoszierung der Kleinodien am 28. August abends in der Schatzkammer ein. Die böhmischen Abgesandten, an ihrer Spitze der Kommissar Ritter von Bohusch, überzeugten sich nach der Öffnung der Behälter von der Identität des böhmischen Kronschatzes und unterfertigten den Empfangschein117 118). Bohusch verweigerte aber die Annahme von Stab und Krone der Äbtissin des Hradschiner Damenstifts, „obschon sie zur Krönung der jeweiligen Königin von Böhmen dienen“ U8); seine Instruktion lautete anscheinend nur für den Kronschatz im engeren Sinn. Im sechsspännigen Hofgalawagen wurde die kostbare Last unter Begleitung von Kavallerie und Leibgarden über den Stephansplatz zum Nordbahnhof geleitet und bei der Ankunft in Prag am Morgen des 29. August vom Bürgermeister der Stadt und Mitgliedern der Landesvertretung erwartet. Unter dem Geläute der Kirchenglocken bewegte sich der Zug, dem sich ein Kollegium der Prager Stadtverordneten anschloß, zur Wenzelskapelle, wo die Bevölkerung Gelegenheit hatte, bis 18 Uhr die ausgestellten Kleinodien zu bewundern 119). Mit den Auslieferungen des Archivs und den Rücksendungen der Schatzkammer war der „Effekten-Transport“ des Jahres 1866 zu Ende gebracht worden. Hatte das Archiv die Verminderung seines Bestandes durch den Verlust wichtigen Quellenmaterials zu beklagen, das lange Zeit als sein festes Eigentum gegolten hatte, so mußte die Schatzkammer den Verzicht auf staatsrechtliche Symbole anderer Länder, die lediglich ihr Depotgut ausmachten, weniger hart empfinden. Darüber zu urteilen, ob die Flüch- tungsaktion tatsächlich unbedingt erforderlich gewesen wäre, ist müßig. Da die Gefahr einer Plünderung durch den siegreichen Feind heranrückte, war es die Pflicht aller betrauten Beamten, im Interesse ihrer Sammlungen jeder Möglichkeit zu deren Sicherung nachzugehen. Der reibungslose Ablauf der ungarischen Bergung lieferte den Nachweis, daß selbst in wenigen Tagen durch Zusammenarbeit aller Hofstellen die Preisgabe wertvollsten Kunst- und Archivalienbesitzes verhütet werden konnte. 116) OKäA 1866, Rubrik 65/2, Konvolut „Rücksendung der in der k. k. Schatzkammer aufbewahrten böhmischen Kron-Insignien nach Prag, mit Ausnahme der Insignien der Äbtissin des Hradschiner Damenstiftes (ex 1867)“, Nr. 1354. 117) OKäA „Rückführung“, Nr. 1459. 118) OKäA „Rückführung“, Nr. 1418; Lhotsky, S. 534. Erst 1871 erfolgte unter Schatzmeister Leitner der Rücktransport der beiden Damenstiftskleinodien. Lhotsky, S. 534; Weixlgärtner, S. 311. 119) Beilagen zu OKäA „Rückführung“, Nr. 1394.
